
Herbert Knappe
Gewalt von und an psychisch Kranken
Wege aus einem Dilemma der Psychiatrie
Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2025, 115 Seiten, 17,00 €, ISBN 978-3-86321-738-9
Seit der Einführung der Psychiatrie-Enquête im Jahr 1975 sind mittlerweile 50 Jahre vergangen. Dadurch hat sich der gesellschaftliche Blick und der Umgang mit psychischen Erkrankungen geändert. Psychiatrische Erkrankungen werden zunehmend destigmatisiert und zugleich medial stigmatisierend diskutiert. Herbert Knappe beleuchtet diesen Umstand und wirft dabei ein besonderes Licht auf ein heikles Thema: Gewalt im Kontext psychischer Erkrankungen, ausgeübt von und an psychisch kranken Menschen mit einer Diagnose aus dem schizophrenen Formenkreis.
Mit seinem Buch „Gewalt von und an psychisch Kranken“ liefert Herbert Knappe keine einfachen Antworten, sondern versucht tiefgreifende, historisch und systemisch fundierte Analysen eines gesellschaftlichen und psychiatrischen Dilemmas aufzuzeigen.
Herbert Knappe, geboren 1953, ist gelernter Konditor und studierter Sozialpädagoge und hatte beruflich u.a. 25 Jahre die pädagogische Leitung eines Wohnheimes für psychisch erkrankte Menschen inne.
Das Buch umfasst 115 Seiten: Prolog, acht Kapitel und einen Epilog.
Inhaltlich führt Herr Knappe die Leserinnen und Leser durch den Prolog, in dem er erklärt, warum dieses Buch geschrieben wurde, für wen es gedacht ist und wer vielleicht besser nicht daraus liest. Die nächsten acht Kapitel betrachten wir im Folgenden. Kapitel 1 gibt einen knappen Überblick über die Ursachen und die Entstehungsgeschichte der Schizophrenie. In Kapitel 2 fasst Knappe die wichtigsten historischen Entwicklungen in der Psychiatrie vom 17. Jahrhundert bis zur Psychiatrie-Enquête zusammen. Darauf folgt Kapitel 3, das die Bemühungen der sozialpsychiatrischen Reformbewegung beschreibt, ein Aufbruch zu mehr Eigenständigkeit und einer stärkeren Orientierung am Gemeinwohl. In Kapitel 4 geht Knappe auf den sozialpsychiatrischen Komplex ein und übt Kritik an der Paternalisierung durch das System der Helferinnen und Helfer. Er bemängelt, dass Betroffene durch mehr Verantwortung in der ambulanten Versorgung häufig an strukturelle Mängel und krankheitsbedingte Herausforderungen stoßen. Kapitel 5 widmet sich der Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen, speziell bei Schizophrenie, und zeigt anhand des Beispiels Depression, wie man diese medial und gesellschaftlich aufbrechen könnte. Kapitel 6 beschäftigt sich mit Knappes Idee einer Task Force als Werkzeug zur Prävention von Gewalttaten im psychiatrischen Kontext. In Kapitel 7 wird die Problematik des Gutachterwesens und das fehlende öffentliche Interesse an den Anliegen der Betroffenen thematisiert, die rechtlich oft an den Rand gedrängt werden und in Institutionen vergessen sind. Das 8. Kapitel beleuchtet den Maßregelvollzug. Knappe stellt die Frage, ob dieses System wirklich der Sicherheit aller dient und ob eine Heilung/Resozialisierung durch das vorhandene therapeutische Konzept im strukturellen Rahme des Maßregelvollzuges überhaupt möglich ist. Im Epilog fasst der Autor seine Gedanken zusammen und ruft dazu auf, eine demokratische Gesellschaft zu fördern, die psychisch Kranke nicht nur als Erkrankte sieht, sondern als Menschen wahrnimmt, die nicht nur Opfer ihrer Erkrankung sind, sondern auch eine Verantwortung tragen.
Diskussion
Herbert Knappes Bucht richtet sich nicht nur an psychiatrisch Tätige, sondern auch an Juristinnen, Sozialarbeiterinnen, Politikerinnen und an eine interessierte Öffentlichkeit an Menschen, die gesellschaftlich mit psychisch erkrankten Menschen arbeiten. Wenn auch anzumerken ist, dass er im Prolog in der Leseempfehlung darauf hinweist, dass seine geübte Kritik besonders ausgewählten Personen, die dieses System befürworten, nicht gefallen könnte und dieser besagte Personenkreis „diese Lektüre weitergeben sollte“ (Knappe 2025, S.12).
Das Buch ist übersichtlich gestaltet. Knappe schafft durch den kurzen Überblick in den ersten drei Kapiteln einen guten Einstieg für Leserinnen, die noch nicht mit der Materie vertraut sind oder Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen haben. Für Leserinnen, die mit psychisch erkrankten Menschen arbeiten, macht er einen spannenden Bogen mit viel begründeter Kritik an dem aktuellen Umgang mit Betroffenen und versucht dabei Lösungsansätze zu bieten. Dabei legt er stets Wert darauf, die Perspektive der Betroffenen einzufangen.
Der Autor positioniert sein Buch dabei nicht als ein reines Sachbuch, das lediglich Fakten und Daten präsentiert (vgl. S.11). Stattdessen greift er auf seine 40-jährige berufliche Erfahrung zurück, um die Inhalte darzustellen. Er versteht es zugänglich zu schreiben und die Leserinnenschaft abzuholen, ohne dabei zu simplifizieren. Als Stilmittel nutzt er – über die Kapitel verteilt – diverse Anekdoten, Auszüge aus Studien sowie Beispiele aus der frühen Vergangenheit der Medienlandschaft, wenn diese Straftaten, begangen von psychisch erkrankten Täterinnen, zum Inhalt hatten.
Seine Kritik an der psychiatrischen Versorgung, besonders im Bereich des Maßregelvollzugs und bei den Rahmenbedingungen forensischer Unterbringungen, lädt dazu ein, die Dinge aus einer neuen Perspektive zu sehen. Gleichzeitig zeigt er mit der Idee der Task Force Wege auf, wie wir mit psychisch kranken Menschen menschlicher und gerechter umgehen können. Ein Kritikpunkt ist, dass einige Aussagen, zum Beispiel zur Ökonomisierung oder zur Machtungleichheit im sozialpsychiatrischen Bereich, noch etwas stärker untermauert hätten werden können. Außerdem hätte ein eigenes Kapitel mit internationalen Vergleichen, etwa mit Skandinavien oder den Niederlanden, das Thema noch bereichert, da diese einen anderen, vielleicht besseren Ansatz im Umgang mit psychisch Erkrankten anbieten.
Als weitere Kritik sei seine im Prolog und Epilog geäußerten Aussagen zum Thema „Gendern“ und „Woke-Kultur“ genannt. Die inhaltliche Darstellung des Buches bleibt hiervon unberührt, um seine Thesen und Vorschläge zu beschreiben, hätte es dieser Passagen nicht bedurft.
Fazit
Herbert Knappe schafft es in seinem Werk „Gewalt von und an psychisch Kranken Wege aus einem Dilemma der Psychiatrie“, eingebettet in einen gesellschaftlich hochrelevanten Diskurs 50 Jahre nach der Psychiatrie-Enquête, über den Umgang mit psychisch Erkrankten in unserer Gesellschaft zu berichten. Das Buch thematisiert die Aspekte Sicherheit, Gefährlichkeit und Zwang in der Psychiatrie sowie deren häufig emotional aufgeladene, selten differenzierte Darstellung in den Medien. Es präsentiert diese Inhalte in einer gut lesbaren Form und bietet eine sachliche, fachlich fundierte Perspektive, um ein umfassenderes und differenziertes Verständnis dieser Themen zu ermöglichen.
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