
Tim Jackson, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.)
Ökonomie der Fürsorge
Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen
Oekom Verlag, München 2025, 479 Seiten, 29,50 €, ISBN 9783987261008
Tim Jacksons neues Buch "Ökonomie der Fürsorge. Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen", das im März 2025 beim oekom Verlag erschienen ist, setzt seine langjährige Auseinandersetzung mit alternativen Wirtschaftsmodellen fort – diesmal mit einem klaren Schwerpunkt auf das Thema Fürsorge. Jackson, Professor für nachhaltige Entwicklung und Autor des viel diskutierten Werkes "Wohlstand ohne Wachstum", argumentiert, dass unsere Vorstellung von ökonomischem Erfolg einer grundlegenden Überprüfung bedarf. Anstelle von Produktivität oder Wachstum sollte die Fähigkeit zur Fürsorge, zur Erhaltung von Gesundheit und sozialem Zusammenhalt im Mittelpunkt wirtschaftlicher Überlegungen stehen.
Das Buch beginnt mit der grundsätzlichen Frage, was Wohlstand tatsächlich bedeutet und wie sehr unser Verständnis davon mit Arbeit, Leistung und Geld verknüpft ist. Jackson kritisiert, dass Pflege-, Erziehungs- und Sorgearbeit in dieser Logik als unproduktiv gelten, obwohl sie für das Funktionieren einer Gesellschaft unverzichtbar sind. Diese Tätigkeiten sind sowohl körperlich als auch emotional fordernd, werden jedoch meist schlecht entlohnt und genießen wenig gesellschaftliche Anerkennung. Dies zeigt sich besonders deutlich im Gesundheitswesen und speziell in der professionellen Pflege.
Jackson begreift Fürsorge nicht nur als berufliche Tätigkeit, sondern als menschliches Grundbedürfnis und gesellschaftliches Prinzip. Er beschreibt, wie unsere ökonomischen Strukturen darauf ausgerichtet sind, Abhängigkeiten zu leugnen und Verletzlichkeit zu ignorieren, obwohl diese Aspekte essenziell zum Menschsein gehören. In einer gesunden Gesellschaft wird Fürsorge nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert und ökonomisch abgesichert.
Der Stil des Buches ist zugänglich und gleichzeitig durchdacht. Jackson verzichtet auf komplizierte Fachbegriffe und entwickelt seine Argumentation anhand persönlicher Erfahrungen, literarischer Bezüge und philosophischer Reflexionen. Besonders einprägsam ist sein Bild von Gesundheit als dynamisches Gleichgewicht – ähnlich dem Rhythmus von Ebbe und Flut. Dieses Gleichgewicht braucht auch die Wirtschaft: Ein gesunder Wirtschaftskreislauf muss nicht stetig wachsen, sondern ausgewogen, nachhaltig und auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein.
Für Fachpersonen in der Pflege bietet das Buch eine neue Perspektive auf die Bedeutung ihrer Arbeit. Es ermutigt dazu, Pflege nicht als bloße Dienstleistung, sondern als gesellschaftliche Schlüsselkompetenz zu verstehen. Gleichzeitig liefert Jackson eine fundierte Kritik an einem Wirtschaftssystem, das Pflegekräfte unter Zeit- und Kostendruck setzt und ihre eigentliche Aufgabe – die fürsorgliche Begleitung – nicht angemessen würdigt.
Allerdings bleibt Jackson bei der Frage, wie sich eine fürsorgeorientierte Ökonomie konkret umsetzen lässt, teilweise ungenau. Obwohl er zentrale Werte wie Empathie, Solidarität und Gerechtigkeit benennt, werden konkrete politische oder institutionelle Maßnahmen nur angedeutet. Leser:innen, die nach klaren Handlungsempfehlungen für die Pflegepolitik suchen, könnten an diesen Stellen mehr Tiefe erwarten. Auch die genderbezogene Dimension der Sorgearbeit – ein wichtiges Thema – wird erwähnt, aber nicht ausführlich behandelt.
"Ökonomie der Fürsorge" ist ein nachdenklich stimmendes, gut lesbares Buch, das grundlegende Fragen unseres Zusammenlebens neu stellt. Es lädt dazu ein, Wirtschaft nicht als abstrakte Zahlenwelt, sondern als Beziehungssystem zu begreifen. Für Pflegekräfte, Pflegewissenschaftler:innen und alle, die sich für soziale Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung und eine menschenzentrierte Versorgung interessieren, ist Jacksons Werk eine wertvolle Lektüre. Das Buch bietet keine einfachen Lösungen, aber einen starken ethischen Kompass und eine klare Vision davon, wie Fürsorge zum Fundament eines zukunftsfähigen Wirtschaftens werden kann.
Eine Rezension von Sebastian Pölzl, BScN
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