
Birgit Palzkill
Nicht binär leben
w_orten & meer, Hiddensee 2024, 240 Seiten, 15,00€, ISBN 978-3-945644-46-1
w_orten & meer, Hiddensee 2024, 240 Seiten, 15,00€, ISBN 978-3-945644-46-1
Wie kann man nicht-binär in einer weitgehend zweigeschlechtlich organisierten Gesellschaft leben? Birgit Palzkill eröffnet hier Zugänge. Möglichkeiten und Herausforderungen werden gleichermaßen deutlich. Birgit Palzkill lebt selbst nicht-binär und setzt sich seit mehreren Jahrzehnten in Pädagogik und Sport dafür ein, dass Akzeptanz für Menschen unterschiedlicher Voraussetzungen und Lebenswege gefördert wird. Palzkill ist Berater*in und Fortbildner*in.
Geschlechtliche Nicht-Binarität ist bis heute gesellschaftlich kaum Thema. Es könnte anders sein, da noch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert es zur gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit gehörte, dass jeder Mensch sowohl weibliche als auch männliche Merkmale in sich vereinige. Die Sexualpädagogik der Nazis markierten den Abbruch. Nun sollte ein „Mann richtig Mann sein“, eine „Frau richtig Frau sein“. Geschlecht und Sexualität wurden unter den Nazis nicht im Sinne eigener individueller Integrität und Selbstbestimmung gesehen, sondern in Richtung einer „Nation“ und eines bevölkerungsreichen „starken Volks“ instrumentalisiert. Egal ob selbstbestimmt oder durch Vergewaltigung entstanden – für die deutschen Nazis zählte das „arische Kind“; Vergewaltigung war ein legitimes Mittel, um zu ihm zu gelangen.
Binarität war auch nach 1945 fix – sowohl in der BRD und Westberlin als auch in der DDR. Fortpflanzung blieb der Zweck, auf den Geschlechter ausgerichtet waren. Sich geschlechtlich anders zu verorten, blieb schwierig und mit Hürden verbunden.
Von diesen Hürden berichtet das Buch „Nicht binär leben“ durch die Generationen. Es beginnt – erfreulich – bei der älteren Generation. Lindy, 62 Jahre, stellt die Herausforderungen dar, die sich in ihrer*seiner Biografie zeigten. Der Umgang der Eltern wird deutlich, Schikanen durch Peers in der Jugendzeit – zugleich ein empowernder eigener Weg.
So funktioniert das ganze Buch: Es ist anschaulich, pädagogisch gut aufgearbeitet und lesbar und skizziert entlang von Biografien Hürden aber auch Katalysatoren für eine nicht-binäre Entwicklung. Die Befragten sind dabei über 60 Jahre alt oder auch Mitte 20 – entsprechend werden generationale Veränderungen deutlich. Klar wird, dass Geschlecht jeweils spezifisch in der gesellschaftlichen Situation und der konkreten sozialen Umgebung wirkt – und entsprechend verschiedene Ausschlüsse von den Akteur*innen wahrgenommen werden. Und sie bahnen sich jeweils spezifisch den Weg.
Insgesamt wird entlang von vier Interviews Nicht-Binarität praxisnah skizziert, wobei insgesamt 17 Interviews dem Buch zugrunde lagen. Die Wahrnehmungen und individuellen Entscheidungen sind entsprechend vielgestaltig. Spezifische Einblicke in Lösungsstrategien werden möglich.
Zu Nicht-Binarität existieren derzeit noch kaum aktuelle Arbeiten. Wenn sich auch Wilhelm von Humboldt und Magnus Hirschfeld sowie zahlreiche Zeitgenoss*innen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts sicher waren, dass jeder Menschen „weiblich-und-männlich“ zugleich seien, so trat diese Perspektive nach der Machtübertragung der Konservativen an die Nazis (wir erinnern uns: zur letzten freien Wahl hatte Adolf Hitlers NSDAP „nur“ 33,1%, die Konservativen hievten ihn an die Macht) zurück. Auch nach 1945 dominierte die binär-geschlechtliche Perspektive, andere Lebensrealitäten waren kaum artikulierbar.
Dennoch waren sie da. Mit dem Buch von Birgit Palzkill kommen die verschiedenen Perspektiven generationenübergreifend zur Sprache. Die jeweils spezifischen Herausforderungen und Möglichkeiten werden deutlich – biografisch unterlegt.
Insgesamt handelt es sich um einen leichtgängigen und praxisnahen Zugang zu geschlechtlicher Nicht-Binarität. Die Beschreibungen sind nicht abstrakt, sondern gehen jeweils von Erfahrungen aus. Durch diesen Aufbau ist das Buch gerade für sozialarbeiterische und pädagogische Handlungsfelder besonders brauchbar – und nutzbar.
Eine Rezension von Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß
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