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Klimakrisefolgen erkennen und meistern

Christoph Müller, Pflegefachperson, Autor und Dozent hat mit Thomas Hax-Schoppenhorst über das von ihm herausgegebene „Das Klimafolgen-Buch“ gesprochen. Dieses interdisziplinär angelegte Buch bietet eine fundierte Analyse und zahlreiche Ansätze zur Bewältigung der globalen Klimakrise und des Verlusts der Artenvielfalt. Es motiviert die Lesenden dazu, ohne Angst, sondern aktiv und engagiert, die Artenvielfalt zu fördern und die Folgen des Klimawandels abzumildern.

Das Werk „Das Klimafolgen-Buch. Wie Pflege- und Gesundheitsberufe der Klima- und Biodiversitätskrise begegnen können“ setzt sich mit Fragen von Gesundheit und Klimawandel auseinander. Viele Bücher erscheinen dazu derzeit. Was macht das Besondere des Buchs aus, das Sie in diesen Tagen herausgeben?

Zunächst ist es der Umfang von knapp 450 Seiten, der es möglich machte, das Thema sehr umfänglich aufzubereiten. Dabei macht das Kernthema „Klima und Gesundheit“ ein Drittel und damit ein ganzes Kapitel des Buches aus. Bei der Konzeption wurde jedoch gleich zu Beginn daran gedacht, in allen Fragen fundierte Grundlagen zu schaffen. So fanden die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel und zur Biodiversität aus den Jahren 2022 und 2023  grundsätzlich noch Eingang in das Buch. Es werden folglich nicht nur die Auswirkungen der Entwicklungen auf die Gesundheit angesprochen, vielmehr finden Leser*innen auch eine profunde Bilanz vor. Ausgangspunkt der Planungen war, einen Titel anzubieten, der allumfassend informiert. Wer zu dem Buch greift, braucht eigentlich kein zweites oder drittes, wenn es um den gesamten Kontext geht. So machen zum Beispiel die Ausführungen zum Klimawandel und zur Bedeutung des Verlustes der Biodiversität unmissverständlich deutlich, was auf dem Spiel steht, bleiben dabei aber nicht die Antwort auf die Frage, was es zu tun gilt, schuldig.

Möglich wurde dies, weil Expert*innen namhafter Institutionen und Bündnisse an dem Buch beteiligt sind. Mitarbeitende des Robert Koch-Instituts, des WWF, der „Psychologists for Future“, der „Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG) und von „GermanZero“ wären u. a. zu nennen. Das ist, wenn ich es sagen darf, schon geballte Kompetenz.

Ganz wesentlich ist auch, dass vor allem den Darstellungen von Lösungsstrategien viel Raum gegeben wurde und dass dabei aufgezeigt wird, wie konkret Politik, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Gesellschaft und auch jeder Einzelne/jede Einzelne auf die Krise reagieren können bzw. sollten. Hierbei wird an sehr vielen Stellen deutlich, dass es sehr wohl Wege gibt – man muss es nur wollen.

Kurzum und in aller Unbescheidenheit: Ein Werk mit großer Bandbreite und vor allem mit dem Zuversicht vermittelnden Potential ist es ganz sicherlich! Und – ganz wichtig – es ist kein „Weltuntergangsbuch“, eher ein „Jetzt handeln!“-Buch.

Es stellt sich von Tag zu Tag deutlicher heraus, dass die zeitgenössischen Menschen die Ernährungsgewohnheiten verändern müssen, wenn sie eine Lebensweise vollziehen wollen, die der bröckelnden Erdkugel gerecht werden will. Was heißt dies konkret?

Wir haben uns entfremdet von den Grundlagen unserer Nahrung. So haben wir zum Beispiel nicht mehr vor Augen, wie wir bei der Massentierhaltung mit den Tieren umgehen. Folglich übersehen wir geflissentlich, dass die industrielle Tierhaltung einen großen Anteil an der Klimaveränderung hat. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist sie für 14,5 % der von Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich – das unabhängige Worldwatch Institute kommt sogar auf einen Anteil von mindestens 51 %, da in dessen Berechnungen die Faktoren Landnutzung, Verdauung (Methan), Düngung und Produktionskosten mitberücksichtigt wurden.

Viele von uns leben, wie es Ilija Trojanow in seinem bemerkenswerten Geleitwort ausdrückt, mit einer starken Unverbundenheit zum Existenziellen, zum Wesentlichen. Es fängt damit an, dass wir Geburt und Tod aus dem Alltag ausklammern – das geschieht abgeschottet in Ghettos der Verwandlung. Es setzt sich damit fort, dass viele von uns gar nicht wissen, wie ein Tier geschlachtet wird.

Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forderungen gehen dahin, dass die derzeitigen Gewohnheiten nicht beibehalten werden können, wenn wir den Planeten schützen wollen. Für die Produktion einer tierischen Kalorie werden mehrere pflanzliche Kalorien benötigt – das bedeutet Umwandlungsverluste, da die pflanzlichen Kalorien besser genutzt werden könnten.

Die Ernährungsfrage dabei auch eine Gerechtigkeitsfrage. Während es in Europa infolge des Klimawandels jährlich zu neuen Ernteeinbußen kommt, verlieren die Menschen im globalen Süden ihre Lebensgrundlagen. Die Folgen sind Naturkatastrophen, Flüchtlingsströme und Hunger. Die Welthungerhilfe (2023) geht davon aus, dass derzeit weltweit 735 Mio. Menschen an Hunger leiden. Davon sind 13,6 Mio. Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt. Dagegen gilt für die Industriestaaten, dass weltweit zwei Mrd. Menschen als übergewichtig oder fettleibig gelten und dennoch einen Nährstoffmangel haben. Dabei nehmen ernährungsbedingte Krankheiten wie Adipositas, Diabetes Typ 2 oder Herzkreislauferkrankungen zu und zählen zu den häufigsten Todesursachen. Wir essen zu viel, zu fett und zu zuckerreich – und das bei zu wenig Bewegung. 

Doch auch in Bezug auf viele andere Verlockungen in unseren Supermärkten müssen wir umdenken. Hierzu ein Beispiel: Die Avocado, Quinoa oder Chia-Samen gelten als sogenannte ‚Superfoods‘, auch Goji- oder Açai-Beeren sollen besonders wertvolle Nährstoffe enthalten, doch aus ökologischer Sicht sind sie weniger empfehlenswert. Um 1 kg Avocados zu erhalten, werden 1000 l Wasser benötigt, und damit sie auch optisch gut aussehen, kommt es zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, was besonders für die Menschen, die sie produzieren, extreme gesundheitliche Auswirkungen hat. Meist stammen die Früchte aus Peru, der Dominikanischen Republik, Mexiko oder Indonesien. Die weiten Transportwege haben eine entsprechend schlechte Klimabilanz.

Auch die Zusammenhänge zwischen den klimatischen Zuspitzungen und einer sich verändernden seelischen Gesundheit zeigen sich häufiger. Was sagen die Forschungen dazu?

Die Auswirkungen der Klimakrise sind nicht nur für unsere körperliche, sondern auch für unsere psychische Gesundheit schädlich. 

Medial werden diese vielfältigen emotionalen Reaktionen oft unter der Bezeichnung “Klima-Angst” zusammengefasst. Unter Klima-Angst im psychologischen Sinne werden chronische Angstgefühle vor der ökologischen Zerstörung bzw. dem Zusammenbrechen der ökologischen Grundlagen der menschlichen Existenz verstanden.  Doch ist Klima-Angst weder die einzige noch die ausgeprägteste emotionale Reaktion auf diese Krisen. So wird deutlich häufiger von Trauer über gegenwärtige und zukünftige Umweltverluste berichtet. Ebenfalls häufig genannt werden: Beschämung, Mitleid und Schuldgefühle gegenüber marginalisierten, von der Klimakrise stärker betroffene Gruppen (einschließlich der noch nicht geborenen), Wut gegenüber den Profiteuren, Enttäuschung über Träger*innen politischer Macht. Auch Entfremdungserleben gegenüber der scheinbar desinteressierten gesellschaftlichen Mehrheit spielt eine große Rolle.

Die psychische Verfassung und Stabilität von uns Menschen ist somit durch die Klimakrise selbst und dessen Auswirkungen gefährdet. Zeitgleich obliegt es psychischen Faktoren, die Bedeutung der Klimakrise adäquat wahrzunehmen und entsprechendes Handeln abzuleiten. In unserer psychischen Natur liegt also auch unsere Chance zur Bewältigung der Klimakrise: Die Möglichkeiten zur grundsätzlichen Veränderung unserer Art zu leben und zu wirtschaften, sind vorhanden und werden immer effizienter. Hierzu bedarf es jedoch einer gesamtgesellschaftlichen Transformation hin zu einer nachhaltigen Lebensweise. Die Barrieren, somit aber auch die Möglichkeiten zur Umsetzung einer solchen Transformation, sind v. a. psychischer Natur.

Mittlerweile wurden in einer Vielzahl von Studien Faktoren untersucht, die klimafreundliche Verhaltensänderungen begünstigen. Diese zeigen, dass allein zusätzliches Wissen über die Klimakrise und seine Auswirkungen kaum Unterschiede im Verhalten bewirkt. Wenn ich persönlich betroffen bin, beispielsweise weil ich durch eine Überflutung mein Haus verliere oder eine Person kenne, der es so ergeht, dann erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich für Klimaschutz einsetze. Ebenso relevant ist die Einschätzung der eigenen Selbstwirksamkeit: Nur wenn ich davon ausgehe, dass mein Handeln auch etwas bewirken kann, bin ich motiviert, aktiv zu werden. Den stärksten Einfluss nehmen soziale Normen auf unser Verhalten. Je mehr Menschen klimafreundlicher leben, desto größer wird somit also die Wahrscheinlichkeit, dass dies die neue soziale Norm wird.

Die Beiträge von Nadja Gebhardt und Christoph Nikendei sowie Katharina van Bronswijk, Maja Dshemuchadse und Christoph M. Hausmann liefern diesbezüglich weitere wichtige Erkenntnisse.

Die Pflege im Allgemeinen, aber auch die Pflegenden im Speziellen sind im Fokus des Buchs. Was können Pflegende leisten, um die Mitmenschen fit für die sich verändernden klimatischen Verhältnisse zu machen?

Zunächst sind Pflegende sehr unmittelbar gerade von den Auswirkungen des Klimawandels im alltäglichen Umgang mit ihren Patientinnen und Patienten betroffen. Hier ist im Besonderen an die Handlungen bei Hitzewellen zu denken, die gerade für ältere bzw. alte Menschen sehr bedrohliche Auswirkungen haben können.

Die Konfrontation mit dem Klimawandel im Gesundheitswesen erfordert eine Neubewertung traditioneller Pflegeansätze und die Entwicklung innovativer Strategien. Die Pflegekräfte stehen vor der Herausforderung, ihre Rolle neu zu definieren und sich an die sich verändernden Bedingungen anzupassen. Dies beinhaltet nicht nur die Anpassung an neue Krankheitsbilder und Gesundheitsrisiken, sondern auch die Entwicklung von Fähigkeiten in Bereichen wie Umweltgesundheit und Katastrophenmanagement.

Die effektive Reaktion des Pflegepersonals auf diese Herausforderungen setzt eine umfassende Ausbildung und kontinuierliche Fortbildung voraus. Pflegekräfte müssen zukünftig in der Lage sein, die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit zu verstehen und entsprechend zu handeln. Dies erfordert nicht nur Fachwissen in der direkten Patient*innenversorgung, sondern auch Kompetenzen in der Gesundheitsförderung und Prävention. Stephan Frey bezieht hier als langjähriger Praktiker in dem Buch klar Position und führt dabei eine Fülle von Beispielen an.

Nun mögen einige Skeptiker kritisch rückfragen: „Was will man der Pflege denn noch alles abverlangen?“  Dennoch meine auch ich, dass eine im Gesundheitswesen so bedeutende Berufsgruppe sich diesbezüglich positionieren muss. 

Ein Beitrag bringt den Begriff der „Schöpfungsspiritualität“ in den Diskurs ein. Was heißt dies? Inwieweit sind Tiefgründigkeiten bezüglich Spiritualität und Philosophie im Kontext von Klima und Gesundheit notwendig?

Wie also soll man sich redlich mit dem ‚Klimawahnsinn‘ auseinandersetzen, sich die Tatsachen zumuten, Mut bewahren und zusprechen? Wäre die Antwort mitunter auch eine spirituelle? Eine Spiritualität für das Anthropozän? Was wäre eine solche? Diese und andere Fragen stellt sich der Theologe Dr. Thomas Hilker, der mit seinem Beitrag einen ganz anderen Blickwinkel einbringt.

Sein Ansatz lautet:

Zu Frage der Spiritualität gehört die Frage nach einem Menschenbild, das die Würde bewahrt und in praktischer Hinsicht Würde zu geben vermag. Und eine solche spirituelle Praxis wäre eine, die als eine Kunst der Selbstsorge zugleich fürsorgend werden wollte. Auch eine, die sich in sozialer Hinsicht als verbindlich versteht und Vertrauen schafft. 

Spiritualität ist eine Praxis, die sich zu einer Praxis des Verstehens verhält. Eine Praxis des Verstehens, weil wir terrestrisch werden müssen und Natur/en allererst verstehen lernen müssen. Auch müssen die Felder Heilung (Medizin) und Pflege für das Anthropozän ökologisch und interkulturell gedacht werden; sie setzen nicht nur den Respekt vor anderen Kulturen voraus, sondern erfordern auch ein hohes Maß an hermeneutischer Kompetenz gegenüber verschiedenen Verständnissen von Werten und Praktiken, ja gegenüber Weltverständnissen.

Zugegeben – das ist keine leichte Kost, aber die Lektüre lohnt sich.

Als christlich sozialisierter Mensch denke und fühle ich, dass wir einfach etwas tun müssen, wenn das Reich Gottes auf der Kippe steht. Und da halte ich mich ganz pragmatisch an den Theologen und Biologen Oliver Putz, der einmal sinngemäß sagte: Es geht darum, in diesem Leben hier, diesseitig an diesem Reich Gottes mitzuarbeiten, und da müssen wir nicht auf die Ewigkeit warten.

Natürlich taucht in dem Buch der Begriff der Prävention immer wieder auf. Was kann in der schulischen und hochschulischen Bildung, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von arbeitenden Menschen getan werden, um die zeitgenössischen Menschen für Gesundheit und Klima zu sensibilisieren?

Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist bedauerlicherweise unter Pflegefachpersonen (noch) gering und wird in der beruflichen Ausbildung zu wenig behandelt. Daher ist es nicht überraschend, dass die Bedeutung von Nachhaltigkeit unklar ist und eine entsprechende Reflexion nur selten stattfindet. Zu diesem ernüchternden Schluss kommt Autorin Nadja Körner. Sie kann sich diese ‚Härte‘ aber auch erlauben, denn im Anschluss liefert sie ein ausführliches und alltagstaugliches Konzept zu Nachhaltigkeitsperspektiven in der generalistischen Pflegeausbildung. Körner nennt eine Vielzahl von möglichen Lernsituationen zur Integration von Nachhaltigkeit in das generalistische Pflegecurriculum – zum Beispiel die ausführliche Darstellung und Problematisierung des Abfallmanagements/des Ressourcenverbrauchs. Eine ausführliche Darstellung würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

Die Themen Nachhaltigkeit und Klimakrise sind auch in bestehenden Ausbildungsprogrammen der Hochschulen nur selten integriert. Erfreulicherweise gibt es gleich zwei ‚Leuchtturmprojekte‘, die das Buch im Detail vorstellt.

Was bedeutet für Sie persönlich ein klimaangepasster Lebenswandel und Nachhaltigkeit?

Aha! Jetzt folgt sozusagen die Nagelprobe … Schreibt er nur, oder tut er’s auch? 

Die Frage ist berechtigt.

Ich könnte jetzt um die blütenweiße Weste ringen, aber die Mühe spare ich mir, denn zu meiner Person kann ich sowohl Gutes als auch Bearbeitungsbedürftiges aufzählen.

Damit Nachhaltigkeit nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, müssen zwingend ökonomische, ökologische, technische, finanzielle Weichenstellungen erfolgen, die nachfolgenden Generationen Handlungsspielräume ermöglichen. Hierzu muss die Politik ehrgeizige Ziele formulieren und v. a. mit der Umsetzung Ernst machen. Denn solange althergebrachte ökonomische Imperative immer wieder über ökologische Erfordernisse triumphieren, werden wir tiefer in den Strudel von Krisen mit globaler Auswirkung schlittern. Andererseits kann die Gesellschaft die Probleme nicht nur an die Politik delegieren. Sie muss im Rahmen ihrer Alltagsgewohnheiten bereit sein, einen eigenen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten.

Nachhaltigkeit in der heutigen Zeit zu verwirklichen, erfordert eine Kunst der Reduktion und die Überwindung von Expansionszwängen. Zwangsläufig ist eine derartige Strategie nicht ohne Einschränkungen des privaten Konsums zu verwirklichen.

Durch mein über 32 Jahre währendes Engagement in der entwicklungspolitischen Arbeit weiß ich, dass wir auf der Erde die derzeitigen und kommenden Probleme nur gemeinsam lösen können. Aktuell werden dem globalen Süden bereits die schlimmsten Folgen des Klimawandels zugemutet. Die Klimagerechtigkeit muss daher oberstes Gebot sein.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Gespräch ist bereits online in der Zeitschrift „Pflege professionell“ erschienen.

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