Pflegedidaktik als Disziplin
Eine systematische Einführung (Ertl-Schmuck, Roswitha und Franziska Fichtmüller )Juventa, Weinheim/München, 2009, 196 S., 18,00 €, ISBN 978-3-7799-1645-1 Rezension von: Dr. Renate Schwarz-Govaers |
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Endlich ist es da! Das Buch zur „Pflegedidaktik als Disziplin“. Ich bin dankbar für diese systematische Einführung von Ertl-Schmuck und Fichtmüller, die mit diesem Buch eine mehrbändige Publikation realisieren. Als Nächstes soll der Band 2 zu „Theorien und Modelle der Pflegedidaktik“ erscheinen, dem Band 3 mit „Ausgewählte Handlungsfelder der Pflegedidaktik“ und Band 4 mit „Pflegedidaktische Forschung“ nachfolgen werden (s. S. 9 in oben genanntem Buch).
Zielgruppe dieser Reihe sind in erster Linie die „Nachwuchswissenschaftlerinnen“ für die Disziplin Pflegedidaktik (S. 10). Im Gegensatz dazu steht das von Christa Olbrich herausgegebene Buch zu „Modelle der Pflegedidaktik“, das sich explizit an die Studierenden der Pflegepädagogik wendet. Ziel dieser Publikation ist es, „den pflegedidaktischen Diskurs anzuregen und damit zur weiteren Entwicklung der Disziplin beizutragen“ (S. 8). Dazu legen die Autorinnen eine Systematik der Disziplin Pflegedidaktik vor, die uns als Diskussionsgrundlage zur Verfügung steht.
Erleichtert bin ich über die klare Begriffsbestimmung zu den Titeln Pflegedidaktik, Fachdidaktik, Gesundheitsdidaktik und Pflegepädagogik: „Pflegedidaktik“ als Didaktik für das Berufsfeld Pflege wird klar von einer „Didaktik der Gesundheitsberufe“ durch die andersartigen Anforderungen an das berufliche Handeln abgegrenzt, wenn es auch Überschneidungen gibt. Im Gegensatz zu allgemeinbildenden Fächern kann es für die berufliche Ausbildung auch keine „Fachdidaktik Pflege“ geben, da sich Pflege in allen Fächern spiegeln muss. „Pflegepädagogik“ wird an Fachhochschulen üblicherweise als Studiengang für Pflegelehrerinnen verstanden, gilt aber ebenso für die pädagogischen Anteile pflegerischen Handelns. Aus diesem Grund favorisieren die Autorinnen den Begriff Pflegedidaktik als eine sich stetig entwickelnde wissenschaftliche Disziplin, die auf den Gegenstand des Lehrens und Lernens in der Pflegeausbildung verweist (S. 16).
Die Bereiche der Pflegedidaktik werden als pflegedidaktische Handlungsfelder in das Ordnungssystem der Makro-, Meso- und Mikroebene eingefügt – wie dieses bei anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen vorfindbar ist (S. 20). Mit dieser Struktur werden die Autorinnen ihrem Anliegen nach einer Systematik der Disziplin Pflegedidaktik gerecht (welche wir auch für die Ausschreibung zum Lernweltenkongress 2010 verwendeten). Die – die Wirklichkeit beschreibenden – Handlungsfelder sind damit einer wissenschaftlichen Reflexion zugänglich (S. 19) und ermöglichen eine gemeinsame Verständigung über den Gegenstandsbereich der Pflegedidaktik.
Damit ist der Rahmen für dieses Buch abgesteckt, das aus drei Teilen besteht. Der erste Teil macht mit 100 Seiten die Hälfte der Publikation aus und ist von den beiden Autorinnen verfasst unter dem Titel: „Pflegedidaktik – Selbstverständnis im Spiegel von Anliegen und Begrenzungen“. Im zweiten Teil zeigt Claudia Bischoff-Wanner „Bildungs- und berufspolitische Rahmenbedingungen“ auf (S. 119-162). Wolfgang Hoops ist für den dritten Teil verantwortlich mit dem Titel „Entwicklungslinien des bundesdeutschen pflegedidaktischen Diskurses“ (S. 165-196).
Der erste Teil behandelt im 1. Kapitel die „Pflegedidaktik als wissenschaftliche Disziplin – Gegenstand und Begründungslinien“. Hier werden begriffliche Klärungen vorgenommen, wie ich sie zu Beginn schon anzudeuten versuchte. Besonders wichtig ist den Autorinnen die Beachtung der „Pflegedidaktik im Spannungsgefüge von Pflegebildungspraxis, beruflicher Pflegepraxis, Pflegewissenschaft und Erziehungswissenschaft“. Wird dieses Spannungsgefüge zur einen oder anderen Position hin aufgelöst, dann resultieren daraus Verkürzungen, die auch durch eine noch so differenzierte Ausarbeitung nicht mehr eingeholt werden können. Im Anschluss an diese Reflexion erfolgt eine vorläufige Begriffsbestimmung zur Pflegedidaktik: „Pflegedidaktik ist eine Handlungswissenschaft, die interdisziplinär angelegt ist. Sie macht Aussagen zu den Aneignungsgegenständen und zu den am Lernprozess beteiligten Subjekten, in institutionalisierten Kontexten“ (S. 45).
Unter „Grundlegende Begriffe der Pflegedidaktik“ erscheinen Überlegungen zu Subjekt, Lernen und Bildung. Dabei wurden „Lernen – ausgehend vom Standpunkt des Subjekts“ von Marco Hahn verfasst (S. 53-60), das Thema „Pädagogisches Handeln“ von Heiner Friesacher geschrieben (S. 69-74) und der Aspekt des „Gender“ von Norbert Herrmann aufgegriffen (S. 74-77). Zuletzt kommen die „pflegedidaktischen Theorien und Modelle“ im Vorgriff auf den 2. Band kurz in den Blick.
Das 2. Kapitel steht unter der Fragestellung „Pflegedidaktik als doppelter Heimatverlust der Lehrenden? Zum Theorie-Praxis-Verhältnis in der Pflegedidaktik“. Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass durch die Entwicklung der Pflegedidaktik als wissenschaftlicher Disziplin den Lehrenden im Berufsfeld Pflege nicht nur die Heimat der praktischen Pflegearbeit abhanden kommt, sondern auch ihre zu subjektiven Theorien verdichteten Erfahrungen über das Lehren und Lernen des Pflegeberufs (S. 92). Diese müssen nach meiner Erkenntnis bewusst gemacht, verändert und neu verdichtet werden, was nicht nur mit einem Heimatverlust einhergeht, sondern auch mit einem Machtverlust als Lehrperson (vgl. dazu R. Schwarz-Govaers, 2005: Subjektive Theorien als Basis von Wissen und Handeln. Bern: Huber). Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Theorie und Praxis (S. 93) wird reflektiert und die Bedeutung des Transfers relativiert. Auf Seite 98 wird deutlich gemacht, „dass der Transfer von wissenschaftlichem Wissen in Praxisfelder nur über die subjektiven Theorien der im Praxisfeld Handelnden erfolgen kann“ (meine eigene Forschung zu diesem Thema findet hier Bestätigung, wenn auch nicht explizit erwähnt).
Im zweiten Teil des Buchs greift Bischoff-Wanner im 1. Kapitel die Stagnation und Reform der Pflegeausbildung der letzten Jahrzehnte auf (S.119-123). Nach einer übersichtlichen Rückschau folgen im 2. Kapitel „Reformüberlegungen aus der Pflege“ (S. 124-136), die sich auf drei Schwerpunkte konzentrieren: der Schaffung eines einheitlichen Ausbildungsberufes, der Ansiedelung der beruflichen Erstausbildung auf Hochschulniveau und der Ausdifferenzierung des akademischen Systems. Außerdem erhalten wir einen Überblick über die derzeitig diskutierten Bildungskonzepte aus der Pflege. Unter „Berufspädagogische Reformen der beruflichen Bildung vor dem Hintergrund europäischer Einflüsse“ (S. 137-149) finden wir die derzeit wichtigsten Informationen zum europäischen Bildungsraum, zur Modularisierung der beruflichen Bildung, zur Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium und zu den dualen Studiengängen. Einem speziellen Anliegen von Bischoff-Wanner wird mit dem Kapitel 4 zur „Lehrerbildung für Pflegeberufe“ Rechnung getragen (S. 150-156).
Im dritten Teil der Publikation geht von Hoops erst einmal der Frage nach, welche Höhen und Tiefen sich in der Entwicklung einer Pflegewissenschaft im Nachkriegsdeutschland abzeichneten (S. 165-174). Im 2. Kapitel zeigt er die Entwicklung einer pflegedidaktischen Theoriebildung auf unter dem Titel „Ausbruch des bundesdeutschen fachdidaktischen Diskurses bis zu seiner ersten wissenschaftlichen Fachdidaktik“ (S. 175-186). Auf neuere pflegedidaktische Entwicklungen wird im 3. Kapitel verwiesen (S. 187-192) und damit wieder der Anschluss zum ersten Teil des Buches vollzogen.
Der mühsame Weg bis zum heutigen Stand der Pflegedidaktik wird mir beim Lesen deutlich vor Augen geführt. Die Freude über die neue Standortbestimmung durch diese Publikation verbinde ich mit der Hoffnung auf viele Leserinnen und Leser, auf eine rasche Verbreitung und vielfache Weiterentwicklung einer endlich klar positionierten Disziplin Pflegedidaktik.