RAE DUPREE

Rae-Dupree, Janet und Pat DuPree
Übungsbuch Anatomie und Physiologie für Dummies
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Maria Regina Dahl und Katharina Dahl.
Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2012, 337 S., 19,95 €, ISBN 978-3-527-70832-1
 
 
Unser Körper ist ein komplexes System, in dem viele unterschiedlich aufgebaute Teile zusammenwirken. Da solide Kenntnisse der Anatomie und Physiologie des Menschen die notwendigen Voraussetzungen schaffen, die entsprechenden therapeutischen, pflegerischen und prophylaktischen Maßnahmen zur Gesunderhaltung des Menschen besser zu verstehen, wird diesen – von vielen als „theoretisch“ und „schwer“ bezeichneten – Fächern in der Ausbildung aller Gesundheits- und Pflegeberufe besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hierbei kommt dem Unterricht sowie didaktisch entsprechend aufbereiteten Lehrbüchern große Bedeutung zu.
 
Die breite Themenpalette der Reihe „... für Dummies“, weltweit eine der erfolgreichsten Buchreihen mit über 250 Millionen gedruckten Exemplaren, umfasst etwa neben Physik, Organischer Chemie, Genetik, Biologie oder Mathematik für Naturwissenschaftler auch ein „Übungsbuch Anatomie und Physiologie“. Der von Janet Rae-Dupree und Pat DuPree verfasste sowie von Maria Regina Dahl und Katharina Dahl aus dem Amerikanischen übersetzte Band zeichnet sich durch einen freundlichen Schreibstil, leicht verständliche Erklärungen, hilfreiche Symbole, „Schummel-Seiten“, witzige Cartoons und unkomplizierte Tipps aus.
 
Nach der „Einleitung“ gliedert sich das Buch, das durch ein umfangreiches Stichwortverzeichnis erschlossen wird, in sechs Teile mit insgesamt 18 Kapiteln, die ihrerseits in zahlreiche Unterpunkte untergliedert sind:
I. Teil: Bausteine des Körpers
• 1. Die Chemie des Lebens
• 2. Die Zelle: Baustein des Lebens
• 3. Teile und herrsche: die Mitose der Zelle
• 4. Die Lehre der Gewebe: Histologie
II. Und jetzt alle zusammen: Knochen Muskeln und die Haut
• 5. Hier wird gebaut: das Skelett
• 6. In Bewegung kommen: die Muskeln
• 7. Von der Oberfläche in die Tiefe: unsere Haut
III. Nahrung und Treibstoff: Versorgung und Transport
• 8. Gib Gas: das respiratorische System
• 9. Treibstoff für alles: das Verdauungssystem
• 10. Das Herz-Kreislauf-System
• 11. Die Abwehr aufrechterhalten: das lymphatische System
• 12. Den Abfall rauswaschen: die Nieren und Harnwege
IV. Das Überleben der Art sichern
• 13. Die Reproduktion beim Mann
• 14. Leben weitergeben: die Fortpflanzung der Frau
V. Regelsysteme: die Kommunikation im Körper
• 15. Immer unter Strom: das Nervensystem
• 16. Hormone, Hormone: das endokrine System
VI. Der Top-Ten-Teil
• 17. Zehn Lerntipps
• 18. Zehn sprudelnde Quellen.
 
Unter dem Motto „Übung macht den Meister!“ (Coverwerbung) vermittelt das unkonventionell verfasste Buch mit Hilfe von anschaulichen und bildhaften Vergleichen einen Überblick und grundlegende Erklärungen zur Anatomie und Physiologie, angereichert mit zahlreichen Übungen und Abbildungen. Einleitend betonen die Wissenschaftsautorin Janet Rae-Dupree und Pat DuPree, der seit über 25 Jahren als Dozent an verschiedenen Colleges und Universitäten arbeitet, darauf hin, dass der menschliche Körper eine wundervolle Bio-Maschine ist, de wachsen und mit der Welt kommunizieren kann und sich – trotz aller Widerstände – sogar noch vermehrt. Um zu verstehen, wie das genau funktioniert, bedürfe es eines sehr genauen Blickes auf jede Kleinigkeit, von der Chemie bis hin zur Mechanik des Körpers. Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung halten sie sodann wörtlich fest: „Dieses Buch soll kein Lehrbuch ersetzen und erst recht keinen Anatomie- oder Physiologieunterricht. Es eignet sich aber sehr gut als Ergänzung des Unterrichts und zur Prüfungsvorbereitung. Wir möchten Ihnen ein tiefes Verständnis von den Inhalten geben, auf die es ankommt, während Sie sich langsam von Organsystem zu Organsystem vorarbeiten“ (S. 15).
 
Ergänzend weisen die Autoren darauf hin, dass dies ein „Arbeitsbuch“ ist und sie ihre Erläuterungen zu den einzelnen Themen kurzhalten, so dass genug Raum für praxisbezogene Fragen bleibe und vor allem mitgedacht werden müsse. Zugleich setzen sie voraus, dass ihre Leserschaft die Möglichkeit haben (und nutzen!), zusätzlich in Fachbücher zu schauen, weshalb die Anatomie und Physiologie nicht komplett abgedeckt werde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Nutzen beziehungsweise der Zielgruppe des Buches, dessen in überschaubaren Grenzen gehaltenen Schwarzweiß-Abbildungen man sich in Farbe gewünscht hätte.
 
Das „Übungsbuch Anatomie und Physiologie für Dummies“, das sich ideal zur Ergänzung des Unterrichts und zur Prüfungsvorbereitung eignet, wird seinem Namen insofern gerecht, als am Ende von jedem Kapitel Fragen und die dazugehörigen Antworten gegeben werden. Dabei erfährt man nicht nur, welche Antwort richtig ist, sondern auch, warum sie die richtige ist und nicht die anderen. Mit über 800 Aufgaben liegt damit ein Übungsbuch für alle vor, die beispielsweise im Rahmen der Ausbildung in den verschiedenen Gesundheitsberufen grundlegende Kenntnisse der Anatomie und Physiologie in Prüfungen nachweisen müssen.
 

Bleibt noch der Hinweis, dass das zur Verfügung gestellte Besprechungsexemplar auf dem Blocksatz gleich mehrfach – oben, unten und an der Seite – mit Stempelaufdrucken („Unverkäufliches Leseexemplar“) verunstaltetet ist. Während ein solches Vorgehen vielleicht bei Veröffentlichungen mit in der Regel nur sehr schwer zu finanzierenden Kleinstauflagen durchaus nachvollziehbar und angemessen erscheinen mag, fehlt dem Rezensenten für diese Unsitte bei Großverlagen, die ihre Bücher weltweit mit entsprechend hohen Auflagen und Gewinn vertreiben, das Verständnis.
 
Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling
SAHMLAND Tote Objekte
Sahmland, Irmtraut und Kornelia Grundmann (Hrsg.)
Tote Objekte, Lebendige Geschichten
Exponate aus der Sammlung der Philipps-Universität Marburg
Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2014, 256 S., 29,00 €, ISBN 978-3-86568-948-1
 
 
Das Anatomische Museum der Philipps-Universität Marburg, das vor einigen Jahren um eine Geburtsmedizinische Abteilung erweitert wurde, beinhaltet heute etwa 3.000 Präparate: Trocken- und Feuchtpräparate, Gipsplastiken, Gemälde und Zeichnungen, eine Schädelsammlung, eine embryologisch-historische Sammlung, Wachsmodelle sowie eine reichhaltige Instrumentensammlung. Der Grundstock zu dieser Einrichtung, die seit den 1980er Jahren auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich ist und seither – neben Privatpersonen etwa von Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege – intensiv als außerschulischer Lernort genutzt wird, wurde bereits vor 200 Jahren gelegt. Zu nennen ist hierbei insbesondere der Anatom und Chirurg Christian Heinrich Bünger (1782-1842), dem ab 1812 – nach der Schließung der Universität Helmstedt und seiner Berufung zum Direktor des Anatomischen Instituts der Marburger Universität – der Aufbau einer Lehrsammlung zu Unterrichts- und Studienzwecken ein besonderes Anliegen war.
 
Das Jubiläum des Museum Anatomicum am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg bot den willkommenen Anlass, reichhaltige Einblicke in wissenschaftshistorische und kulturelle Aspekte universitärer Sammlungen zu gewähren. Hierzu veranstaltete die Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin am 23. und 24. November 2012 die interdisziplinäre Tagung mit Sonderausstellung „Tote Objekte – lebendige Geschichten“, an der sich von den 29 noch existierenden universitären Sammlungen in Marburg sieben beteiligten: Das Museum Anatomicum (in Verbindung mit der Geburtsmedizinischen Sammlung), die Zoologische Sammlung, die Antiken- und Abgusssammlung, die Völkerkundliche Sammlung, die Religionskundliche Sammlung, die Pharmakognostische Sammlung sowie die Forschungsstelle für Personalschriften mit ihrer Sammlung der Leichenpredigten.
 
Die Idee, einzelne Exponate ausgehend von der Anatomie und gemeinsam mit Objekten aus anderen Sammlungen vorzustellen, war auch die Grundlage für das nun von der Medizinhistorikerin Apl. Prof. Dr. Irmtraut Sahmland, Leiterin der Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin der Philipps-Universität Marburg, und ihrer Kollegin Dr. Kornelia Grundmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin der Philipps-Universität Marburg und Kustodin des Museums Anatomicum und des Behring-Archivs der Universität, herausgegebene Buch „Tote Objekte – lebendige Geschichten“, zu dessen Bedeutung und Intention es im Vorwort heißt: „Diese themenbezogene Kooperation konnte in beeindruckender Weise die Vielfalt der in den Marburger Sammlungen vorhandenen Kulturgüter präsentieren und bot gleichzeitig die Gelegenheit, eine neue Form der fakultätsübergreifenden Interaktion auszuprobieren. Um dies zu unterstreichen, sind in diesem Band die Beiträge über die vorgestellten Exponate der verschiedenen Sammlungen nicht additiv aneinander, sondern, soweit dies möglich erschien, thematisch geordnet“ (S. 8).
 
Neben dem Vorwort der Herausgeberinnen enthält der umfangreiche Sammelband die folgenden Beiträge:
• Gerhard Aumüller: Der Weg der Marburger Anatomischen Sammlung zum Medizinhistorischen Museum (S. 12-22)
1. Anatomische Objekte in verschiedener Perspektive
• Gerhard Aumüller: Was können uns die Präparate Christian Heinrich Büngers heute noch sagen? (S. 23-37)
• Reinhard Hildebrand: Das Herz im Glas – Ein anatomisch kulturgeschichtlicher Blick auf die materielle Seele des lebenden Körpers (S. 38-54)
• Kornelia Grundmann: […] durch das Schwert vom Leben zum Tode bringen […] – Schädel und Totenmasken von hingerichteten Verbrechern in der Marburger Anatomischen Sammlung (S. 55-77)
• Hans Wilhelm Bohle: Das Marburger Elefantenskelett: Seine Geschichte als Teil einer Geschichte der Vergleichenden Anatomie zwischen Medizin und Zoologie (S. 78-95)
2. Patientengeschichte(n) am Objekt
• Rita Amedick: Hungerleider beim Festmahl. Darstellungen fehlgebildeter Menschen in der antiken Kunst (S. 96-107)
• Patrick Sturm: Leiden – Lernen – Heilen. Leichenpredigten als medizinhistorische Quelle (S. 108-124)
• Irmtraut Sahmland: Das Elend der menschlichen Kreatur: das hockende Skelett in der Anatomischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg (S. 125-151)
3. Objekte im geburtshilflichen Kontext
• Ulrike Enke: Josef Benedikt Kurigers embryologische Wachstafel nach Soemmerring im Museum Anatomicum Marburg (S. 152-175)
• Marita Metz-Becker: Die „Kaisergeburtsgeschichte“ der Maria Sophia Dickschedt (1782). G.W. Steins Kaiserschnittbistouri im Marburger Museum Anatomicum (S. 176-188)
4. Objekte der Heilkunde in anderen Weltreligionen
• Katja Triplett: Magische Medizin? Kultur- und religionswissenschaftliche Perspektiven auf die tibetische Heilkunde (S. 189-205)
• Barbara Rumpf-Lehmann: Pfeilgift aus Afrika als Herzmittel. Zur Geschichte der Droge Strophanthus (S. 206-220)
• Dagmar Schweitzer de Palacios: Die Macht liegt in den Werkzeugen. Andine Heiler und ihre Heilaltäre (S. 221-238)
• Dries Bargheer: Schädelkult in der pazifischen Südsee – Untersuchung des Dayaken-Schädels aus dem Marburger Museum Anatomicum (S. 239-249)
Ergänzt wird die Darstellung durch einen Anhang mit „Informationen über die beteiligten Sammlungen der Philipps-Universität Marburg“ (S. 250-254) und Hinweisen über die „Autorinnen und Autoren“ (S. 255-256).
 
Ausgehend von der Anatomischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg und in Verbindung mit den weiteren beteiligten Sammlungen präsentiert der durchgängig mit qualitativ hochwertigen Farbabbildungen ausgestattete Band, dessen Drucklegung mit Unterstützung der „Von-Behring-Röntgen-Stiftung“ realisiert wurde, ein breites Spektrum von Exponaten und Präparaten und stellt sogleich deren vielfältigen Hintergründe vor. Beginnend im lokalen und regionalen Bezugsrahmen, öffnet sich dabei der Blick sowohl in der historischen Perspektive wie in der geographischen Dimension, die auf nahezu alle anderen Kontinente ausgreift. Insgesamt betrachtet erlaubt der sehr gelungene und äußerst lesenswerte Band, der sich zugleich als ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über den Wert des Sammelns und die damit verbundenen ethischen Fragen des Umgangs mit und der Präsentation von solchen toten Objekten versteht, eine spannende Reise in die Geschichte der Marburger Sammlungen und die Welt der Wissenschaft.
 
Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling
HENDERSON Das Spital
 
Henderson, John
Das Spital im Florenz der Renaissance
Heilung für den Leib und für die Seele
Übersetzt von Gerhard Aumüller
Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2014, 477 S., 58,00 €, ISBN 978-3-515-09943-1
 
 
In der Renaissance sind die italienischen Hospitäler ein Meilenstein auf dem Weg zur Medikalisierung und zur Modernisierung der Medizin. Während mittelalterlichen Hospitälern in der Medizingeschichte ein eher schlechter Ruf anhaftet, bieten die Renaissance-Hospitäler erstmals eine professionelle Betreuung für die Patienten auf dem aktuellen medizinischen Wissensstand. Sie spielen als städtische Einrichtungen zugleich auch eine lebenswichtige Rolle in der Gesunderhaltung der Stadt. Und nicht zuletzt entspricht ihre „bellezza“ dem zeitgenössischen Architekturprinzip der Beziehungen zwischen Schönheit und Funktion. Auf diese Weise verbindet das Renaissance-Hospital die Heilung des Körpers mit dem Heil für die Seele. Das Hospital ist somit emblematisch für einige der kulturellen, politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen und Errungenschaften der Florentiner Renaissance, und die Beschäftigung damit ist gleichermaßen bedeutsam für die Historiografie wie für die Medizin- und Pflegegeschichte.
 
Vorzustellen gilt es hierzu ein umfassendes, längst zum Standardwerk gewordenes Buch zur Hospitalgeschichte Florenz‘, das 2006 unter dem Titel „The Renaissance hospital. Healing the body and healing the soul” (Yale University Press, New Haven) im englischen Original erschien und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Verfasst wurde es von dem Historiker John Henderson (Jahrgang 1949), der an der Universität von London als Professor für die Geschichte der italienischen Renaissance lehrt und als führender Experte des Gesundheitswesens in Florenz und in der Toskana in Spätmittelalter und Renaissance gilt. Die äußerst verdienstvolle Übersetzung ins Deutsche besorgte der Marburger Anatom und Medizinhistoriker Prof. Dr. Gerhard Aumüller von Oktober 2011 bis Mai 2012 als Ergänzung zum abgeschlossenen DFG-Projekt „Die Hessischen Hohen Hospitäler – Die Patienten- und Leitungsstruktur einer frühneuzeitlichen Versorgungseinrichtung“ der Arbeitsstelle für Medizingeschichte – Behring-Bibliothek der Philipps-Universität Marburg.
 
Einleitend weist John Henderson darauf hin, dass er sich als Teil einer neuen Bewegung in der Historiographie mittelalterlicher und Renaissance-Hospitäler versteht, die versucht, von „den traditionellen Vorurteilen ebenso wegzukommen wie von unkritischen Lobhudeleien“ (S. 25). Die Intention dieses Buches sei es, die verschiedenen Elemente herauszufinden, die das Ansehen des Renaissance-Hospitals im Hinblick auf die Themen und Diskurse zweier Felder ausmachen: der Renaissance-Studien und der Medizingeschichte. Hierzu analysiert er die Hospitallandschaft des oberitalienischen Stadtstaates in einem Zeitraum von 300 Jahren (1250-1550), in dem es 68 Hospitäler gab, die steckbriefartig im Anhang (S. 447-459) vorgestellt werden. Die Grundlage seiner Studie bilden eine Vielzahl von Quellen, darunter auch die zahlreich vorhandenen Bildquellen.
 
Nach der Einführung gliedert sich das Buch in drei Teile, die jeweils drei Kapitel umfassen:
Teil 1 - Spitäler und die Stadt
• Vor dem Schwarzen Tod: Die Geburt der Klinik
• Die frühe Renaissance: Arznei für den Körper und Arznei für die Seele
• Die Spätrenaissance: Schönheit, Krankheit und die Armen
Im ersten Teil spürt John Henderson zunächst der sich entwickelnden städtischen Rolle des Florentiner Hospitals im Verlauf von drei Jahrhunderten nach. Die Hospitäler wurden damals zu einem „lebenswichtigen Element in den Strategien der Gesellschaft, um der kranken Armen als den erkrankten Organen im Körper der Stadt Herr zu werden“. Zugleich behandelt der Autor die oft diskutierte Frage nach der Rolle jeweils von Kirche und Staat bei der Bereitstellung von Hilfe für die Armen.
 
Teil 2 - Heilung der Seele
• „Für den Allmächtigen Arzt gibt es keine unheilbaren Krankheiten“: Die Rolle der Spitalkirche
• „Glänzende Stätten der Behandlung, mit reichen Mitteln erbaut“: Krankensäle und die Sorge für Leib und Seele
• Im Dienste der Armen: Die Gemeinschaft der Pflegenden
Im zweiten Teil werden grundlegende Funktionen des Renaissance-Hospitals untersucht: die Heilung der Seele bei der Behandlung von Krankheiten, wozu insbesondere die beiden wichtigsten religiösen Räume des Hospitals – die Kirche und die Kapelle des Krankensaals – in den Blick genommen werden. In den Blick genommen werden aber auch der Krankensaal als Mittelpunkt frommer Tätigkeit und der Bereitstellung von Pflege.
 
Teil 3 - Heilung des Körpers
• Behandlung der Armen: Die Ärzte und ihre Aufgaben
• „Vorhöfe des Todes“?
• Die Behandlung der Armen: Apotheker, Pillen und Purgantien.
Der dritte Teil beleuchtet die Rolle und den Tätigkeitsbereich der ärztlichen Belegschaft und die Formen der Arzneien, die verschrieben wurden, ebenso wie die Krankheiten, Schicksale und Einzelpersönlichkeiten der Patienten.
 
 
Im Hinblick auf die Leserschaft der „Geschichte der Pflege“ sei hier das Kapitel über „Die Gemeinschaft der Pflegenden“ (S. 263-307) etwas näher vorgestellt. Wenngleich die Hingabe des Pflegepersonals eines der Hauptmerkmale des Renaissance-Hospitals war, die von den Zeitgenossen herausgestellt wurden, habe man ihnen wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Nach der Darstellung von John Henderson zeigen die erhaltenen Verträge, dass die Unterscheidung zwischen Patient, Pfleger und Mitbewohner „weit von einer scharfen Trennung entfernt war“ (S. 267). Demnach gab es Menschen, die als „commessi“ oder „commesse“ bezeichnet wurden und die im Hospital lebten und arbeiteten. Dann gab es unter dieser Bezeichnung jene Pflegenden, die um im Hospital zu leben, eine Geldsumme mit einbrachten, um im Alter selbst gepflegt zu werden. Weiter gab es solche, die eintraten um allein oder als Paar dort zu leben, die oft größere Geldsummen oder Eigentum bereitstellten und ihre eigenen Einrichtungen mitbrachten und im Hospital wohnten ohne jegliche karitative Verpflichtungen. Schließlich gab es auch solche, die in ihren eigenen Häusern lebten, aber eine Zuwendung erhielten, oft als Gegenleistung für ein Geschenk oder Vermächtnis von Geld oder von Eigentum für das Hospital. Die Bewerber hatten zu garantieren, dass sie bereit waren, „sich ohne Ablenkung von außen gänzlich dem Dienst im Hospital zu widmen, und moralisch aufrechte Mitglieder der Gesellschaft zu sein“ (S. 271). Wie bei den Bruderschaften sei die Garantie eines angemessenen Begräbnisses und einer freien Bestattung in der Hospitalkirche oder auf dem Friedhof ein großer Vorteil der Hospitalgemeinschaft gewesen. Ein Pflegeleiter hatte die Leitung des Krankensaales unter sich, dem vier Vertreter oder Oberpfleger zur Seite standen, deren jeder sieben Helfer unter seinem Befehl hatte. Unter den „Dienerinnen und Helferinnen“ befanden sich unterdessen nicht nur Krankenschwestern, sondern auch solche, die kochten, sauber machten oder die Wäsche für das gesamte Hospital erledigten. Wenngleich die Bezahlung nicht hoch war, sei die Arbeit in einem oder für ein Hospital, so der Autor, „ein attraktives Angebot“ gewesen, insbesondere für allein stehende Frauen, seien sie verwitwet oder nie verheiratet gewesen: „Es war das Angebot der Sicherheit, mit dem es die Hospitäler schafften, eine Versorgung mit Personal aufrecht zu halten, vor allem durch individuell angepasste Verträge, die dem Einzelnen und der Einrichtung gleichermaßen nutzten“ (S. 292). Dabei waren entsprechende Vereinbarungen mit einem Hospital für alleinstehende Frauen ein gangbarer Weg zur eigenen Unterhaltssicherung, ebenso aber auch für alleinstehende Männer.
 
Nach Ansicht von John Henderson bietet das Bild, das aus seiner Untersuchung entstanden ist, „eine weitere Dimension“ für unser Verständnis der Renaissance: „Sie lässt erkennen, dass das Hospital und vor allem die kranken Leiber darin, einen Mikrokosmos des Zusammenspiels vieler Facetten der Stadt darstellt. Während die äußere Form des Spitals seiner Baulichkeit die bellezza hinzufügte, bildete die Betonung der sinnvollen Organisation und der Funktionalität der Gebäude und der Verwaltung einen Teil des Ideals des Staates“ (S. 446). Das Renaissance-Spital habe eine große Zahl von Kranken behandelt, damit sie leicht in die Gemeinschaft zurückkehren konnten und weiterhin einen nützlichen Beitrag zur Gesellschaft leisteten.
 
Indem John Hendersons nicht nur medizinische und sozioökonomische Studien zusammengeführt hat, sondern auch Zugänge aus den Bereichen der Religions-, Kunst- und Architekturgeschichte für seine Studie herangezogen hat, bietet das vorliegende Buch zugleich ein neues, dynamisches und multidisziplinäres Modell für die Untersuchung des Hospitals als eines Mikrokosmos der Stadt selber. Es ist sehr zu begrüßen, dass dieses grundlegende Werk zur Hospitalgeschichte nun auch in deutscher Sprache vorliegt.
 
Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling