Meinen Kopf auf deinen Hals |
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Der Titel "Meinen Kopf auf deinen Hals" mutet merkwürdig an; man sollte das Buch aber nicht allzu schnell als blödes Elaborat eines durchgeknallten Science fiction-Autors bei Seite legen. Worum geht es?
Christian Jungblut, langjähriger Autor von Geo und Stern, hatte für den Stern eine Reportage über die Versuche einer Kopf- respektive Ganzkörpertransplantation - es kommt immer auf die Perspektive an -, die der amerikanische Neurochirurg Robert White an Primaten durchgeführt hatte, erstellt. Diese Reprotage löste ein weltweites Echo aus - und den Autor ließ das Thema nicht mehr los. Über zwei Jahre hinweg besuchte er immer wieder den amerikanischen Arzt und Forscher. Er führte tiefschürfende Gespräche über die Probleme, die mit Transplantation des Kopfes bzw. des ganzen Körpers entstehen.
Zunächst betont White, daß die Verpflanzung des Kopfes bzw. ganzen Körpers technisch gesehen weniger Probleme aufwirft als manch etablierte Organtransplantation. Das Verfahren wird genau beschrieben. Das einzige Problem, das derzeit hingenommen werden muß, ist, daß der so behandelte Mensch nach der Operation tetraplegisch ist. Deshalb würde er - White - derzeit die Operation auch nur an einem querschnittgelähmten Menschen durchführen; er denkt hier z.B. an Christover Reeve (Superman), dem es doch unstrittig nützen würde, wenn er in dem Moment, in dem sein Körper seinen noch intakten Kopf nicht mehr angemessen mit Blut zu versorgen in der Lage ist, einen neuen Körper bekäme. Daß er diesen Körper nicht würde spüren können, würde für ihn keine neue Situation schaffen. Es sei aber im übrigen- so White - nur eine Frage der Zeit, bis man in der Lage sei, auch das Rückenmark funktionsfähig zu verbinden.
Die Gesprächspartner streifen viele Themen und dringen dabei in immer tiefere Dimensionen der Problematik vor: die Hirntodproblematik, die Frage der Identität (dabei u.a. die auch die absurde Frage, was geschieht, wenn einem männlichen Kopf ein Frauenkörper oder umgekehrt angenäht wird) bis zur Frage, ob denn auch die Seele verpflanzt würde oder ob zwei Seele zusammengefügt werden müßten. Bei diesen zum Teil schon etwas abstrakten, aber sehr instruktiven theoretischen Denkspielen wird eine für die Arbeit des visionären Transplantationschirurgen zwingend notwendige Prämisse sehr schön deutlich: Der Mensch ist sein Gehirn.
Auf Jungbluts Frage, was er denn mit einem neuen Körper solle, antwortet White: "Der hält Ihr Hirn noch besser in Betrieb. Und wenn es eines Tages jemand gelingen sollte, Ihr Rückenmark wieder zusammenzunähen. Dann werden Sie sich wirklich an Ihrem neuen Körper erfreuen können." Jungbluts Einwand, wer denn da überlebe, die Gehirnzellen oder die Materie, verbunden mit der Überzeugung, daß dieser Mensch wohl kaum noch dieselbe Identität haben werde, kontert White mit der Feststellung: "Nun, ich glaube, das ist keine Frage mehr. Sie leben in Ihrem Gehirn. Sie sind Ihr Gehirn. Die Person mit dem neuen Körper ist Jungblut." Entsprechend gibt es auch nur eine Seele, die nur verpflanzt wird, wenn man von einer Kopftransplantation spricht, bzw. bleibt, wo sie ist, wenn der ganze Körper verpflanzt wird.
Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, daß dies doch alles abgehobene Überlegungen seien, die an der Realität meilenweit vorbei gingen. Auch mag man die Hoffnung hegen, daß das, was White an Primaten erfolgreich durchgeführt hat, am Menschen nie durchgeführt wird. Gleichwohl ist aber das, was in dem Buch diskutiert wird, in keiner Weise Science fiction. Auch wenn das Ziel der Lebensverlängerung vielleicht da besonders deutlich wird, wo einem noch funktionstüchtigen Kopf ein neuer leistungsfähiger Körper "untergeschnallt" wird, ist dieses Ziel aber auch bei etablierten Transplantationsmedizin leitend. Auch kommt die Identitätsproblematik nicht erst durch die Vision von White ins Spiel, sie ist vielmehr schon längst vorhanden. White: "Die Montage ist aber ein menschliches Wesen. Warum die Aufregung? Ob man bei einem Menschen fünf wichtige Organe im Leib auswechselt, was schon häufiger vorgekommen ist, oder ob man ihm gleich einen neuen Körper gibt - er behält beide Male die Essenz seines Wesens. Im Gegensatz zu einem neuen Leib bleiben die fünf Organe aber unsichtbar."
Ich möchte das Buch sehr zur Lektüre empfehlen; nicht weil es über etwas neues informiert - das bleibt uns hoffentlich erspart -, sondern weil in ihm Fragen erörtert werden, vor die wir jetzt schon gestellt sind, die aber weithin, weil nicht gestellt, unbeachtet bleiben. Und angesichts der Möglichkeiten, die neben der in diesem Buch erörterte Vision eine auf Ersatzteile bauende Medizin erahnen läßt, sollte dringlich über diese Fragen gesprochen werden.
Eine Anmerkung sei erlaubt: Mitunter hat der Rezensent Anlaß, bei einem Buch ein schlechtes Lektorat zu bemängeln; wenn das Buch ordentlich lektoriert ist, erfährt dies (nach dem schwäbischen Motto "Nicht geschimpft, ist genug gelobt") in der Regel keine Erwähnung. Bei dem vorliegenden Buch ist es mir ein Anliegen, die textgestalterische Aufmachung hervorzuheben. Das Verschränken von wohldosierten Abbildungen mit dem Text, bei dem die Rahmenerzählung, der Interviewteil und die eingesprengten literarischen Fragmente wiederum typographisch gut zu unterscheiden sind, kann als besonders gelungen und lesefreundlich bezeichnet werden.