Geschichte der Medizin und der Krankenpflege (Eduard Seidler, Karl-Heinz Leven)Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart, 2003, siebte, überarb. und erw. Aufl., 333 S., broschiert, 18,90 €. - ISBN 3-17-017624-2Rezension von: Dr. Hubert kolling |
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Wenngleich die Krankenpflege unzweifelhaft eine tragende Säule unseres Gesundheitswesens darstellt, blieb ihre Geschichte - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - bisher nur unzureichend erforscht. (Einen aktuellen Überblick zum gegenwärtigen Stand der Forschung bietet Christoph Schweikardt mit seinem Beitrag "Entwicklungen und Trends in der deutschen Krankenpflege-Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts", in: Medizinhistorisches Journal, 39 [2004], S. 197-218) Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) brachte das Krankenpflegegesetz von 1957 einen wichtigen Impuls für die Beschäftigung mit der Krankenpflegegeschichte im Rahmen der Krankenpflegeausbildung. In deren Folge entstand eine seither ununterbrochene Tradition von Standesgeschichten für den Berufskunde-Unterricht in Krankenpflegeschulen, unter denen der Freiburger Medizinhistoriker Eduard Seidler mit seinem Standardwerk "Geschichte der Pflege des kranken Menschen" herausragt. Das in erster Auflage 1966 vorgelegte Buch erschien seit 1993 in sechster Auflage als "Geschichte der Medizin und der Krankenpflege" und ist seit 2003 mit dem Koautor Karl-Heinz Leven, ebenfalls Medizinhistoriker aus Freiburg, in der siebten, überarbeiteten und erweiterten Auflage auf dem Markt. Der Veröffentlichung liegt das Leitmotiv zu Grunde, dass Medizin und Krankenpflege seit der Antike Teil eines gemeinsamen Heilplans seien. Das 19. Jahrhundert habe aber durch "patriarchalisches Geheimratsdenken in der Medizin", der "Konfrontation der Geschlechter" zwischen noch männlicher Medizin und weiblicher Krankenpflege, "Gehorsamsdenken der Armeekrankenpflege" und der "Übernahme einer säkularisierten Ordenshierarchie" in den großen Pflegeverbänden "jenen verhängnisvollen Graben" zwischen der Medizin und der Krankenpflege geschaffen, "der unübersehbar bis heute vorhanden ist" (S. 224).
Im Hinblick auf ihr Bemühen, eine "Geschichte der Medizin und der Krankenpflege" vorzulegen, verwahren sich im Vorwort ihrer auf den neuesten Stand gebrachten Auflage die beiden Autoren als "professionelle Medizinhistoriker und Ärzte" ausdrücklich gegen den Vorwurf einer einseitigen Darstellung. Die Idee, Medizin und Krankenpflege in ihren Entwicklungen zusammenzusehen, sei keine "harmonisierende", die Probleme eher zuschüttende Geschichtsbetrachtung, wie schon den früheren Auflagen vorgeworfen wurde, sondern der Versuch einer Konzentrierung auf die Inhalte des gemeinsamen Auftrages. Keine noch so differenzierte Professionalisierung beider Bereiche, keine Ausbildungsgesetze und keine Bestrebungen, aus beiden jeweils eigenständige Gesundheitsberufe werden zu lassen, könne darüber hinwegtäuschen, dass Pflege und Medizin den Patienten gemeinsam haben. Die sehr übersichtliche, mit 70 Schwarz-Weiß-Abbildungen illustrierte Darstellung gliedert sich - streng chronologisch gehalten - in die folgenden neun Teile: 1. Anfänge von Heilkunst und Pflege, 2. Frühe Hochkulturen, 3. Griechisch-römische Antike, 4. Frühes Christentum und Byzanz, 5. Das Mittelalter, 6. Humanismus und Aufklärung, 7. Das 19. Jahrhundert, 8. Das 20. Jahrhundert, 9. Aspekte der zweiten Jahrhunderthälfte. Der dabei stets nach Medizin- und Pflegegeschichte getrennten Fachdarstellung ist eine allgemeinhistorische Einführung in die jeweilige Epoche vorangestellt. Besonders erwähnenswert, da praktisch und hilfreich im Forschungsprozess, ist der Anhang des Buches, der neben einem zu den einzelnen Teilen nach Medizin und Pflege unterteilten Literaturverzeichnis, Personenregister und Sachregister auch Quellentexte (S. 271-301) enthält. Letztere können nicht nur zum weiteren Studium anregen, sondern auch sinnvoll im Unterricht zur Berufskunde eingesetzt werden.
In den letzten Jahren wurden von Historikerinnen und Historikern beider Disziplinen wichtige neue Befunde vorgelegt. Eduard Seidler und Karl-Heinz Leven konnten daher die neue Auflage intensiv überarbeiten und auf den neuesten Forschungsstand bringen; dies betrifft insbesondere die Darstellungen der griechisch-römischen Antike und des 20. Jahrhunderts.
Mit ihrem Buch wenden sich die Autoren weiterhin an Lernende und Lehrende in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten und Pflegenden. "Es soll nicht nur zu einer vertieften Anamnese und einem besseren Gegenwartsverständnis beitragen, sondern auch zu einem verständnisvollen Miteinander. Die Gewichtung der Schwerpunkte - dies sei bewusst wiederholt - verfolgt nach wie vor das gleiche Ziel, Pflege und Medizin als nicht voneinander trennbare Elemente eines gemeinsamen Heilauftrages zu begreifen, den keiner ohne den anderen leisten kann."(S. 8) Der Sinn des Buches läge daher weniger im Erwerb von abfragbarem Wissen, sondern darin, aus der Geschichte heraus die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu bedenken.