verstehen & pflegen
1 - Grundlagen beruflicher Pflege 1 - Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2001, 340 S., 100 Abb. und Tab., 24,95 € - ISBN 3-13-127241-4 |
![]() |
Im Thieme-Verlag gab es schon immer mehrere Lehrbücher für die Pflegeberufe, zum Teil speziell für die einzelnen Sparten (Hoehl/Kullick: Kinderkrankenpflege und Gesundheitsförderung; Juchli: Krankenpflege; Köther/Gnamm: Altenpflege in Ausbildung und Praxis), zum Zeil aber auch nur allgemein für die Pflegeberufe (Beske: Lehrbuch für Pflegeberufe; die letzten Ausgaben der Juchli trugen den schlichten Titel "Pflege" und die Post-Juchli-Ausgabe heißt "THIEMEs Pflege"), ohne dass hier allerdings eine allgemeine Pflegeausbildung anvisiert war.
Mit verstehen & pflegen wurde eine neue Buchreihe gestartet, die erstmals expressis verbis auf eine integrierte Pflegeausbildung abzielt; die Herausgeberinnen im Reihenvorwort: "Nicht zuletzt aus diesen Überlegungen heraus verfolgen wir insgesamt einen integrativen Ansatz, der einerseits Gemeinsamkeiten und verbindende Elemente der Pflegeberufe Altenpflege, Kinderkrankenpflege und Krankenpflege aufzeigt, andererseits ihre jeweils spezifischen Elemente herausarbeitet. Wir sehen in dieser Vorgehensweise eine große Chance, vor dem Hintergrund eines sich stark verändernden Berufsfeldes, wechselseitiges Lernen der Pflegeberufe voneinander und gegenseitige Akzeptanz zum Wohl der Pflegeempfänger zu unterstützen."
Es liegen vier Bände vor:
- Grundlagen beruflicher Pflege
- Wahrnehmen und Beobachten
- Pflegerische Interventionen
- Prävention und Rehabilitation.
Der Band "Grundlagen beruflicher Pflege" ist in drei Abschnitte gegliedert:
- Pflege und Entwicklung
- Pflege und Profession
- Pflege und Beziehung.
- Leitbild und Pflege - Es wird hier der Versuch unternommen, zu bestimmen, was unter Pflege verstanden werden kann. Ferner werden die auch für die Heilkunde relevanten Bilder vom Menschen sowie die Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit referiert. Vergeblich sucht man hier - und insoweit überwindet das Buch nicht den allgemein geltenden Mainstream - einen Hinweis darauf, dass der Mensch stirbt und dies nicht nur vollkommen normal, sondern quasi eine Grundbedingung des Lebens ist - ein Problem, das den Alltag der Krankenpflege, vor allem den Alltag der Altenpflege ganz wesentlich bestimmt.
- Die Darstellung der Geschichte der Pflege, die natürlich nur ein Abriss sein kann, ist sehr informativ. Etwas deutlicher hätte hier auf das allzu beliebte Argument eingegangen werden können, dass Pflege schon immer Frauenarbeit war. Es müsste deutlich werden, dass Frauen außerhalb der Familie erst relativ spät Pflegearbeit leisten durften; weit vorher haben diese Arbeit, so sie denn überhaupt geleistet wurde, Männer übernommen. Auch müsste deutlich werden, dass die Frauen, die als Hexen verfolgt und getötet wurden, keine oder nur in sehr geringem Maße Pflegearbeit in unserem heutigen Sinne leisteten, sondern Heilkundige und Hebammen waren.
- Im dritten Kapitel geht es um die berufliche Handlungskompetenz. Hier ist zwar viel über Kompetenz und den Erwerb von Kompetenz zu lesen, nur sehr Nebulöses jedoch über die den Pflegeberufen zugesprochene Kompetenz; der beliebte Verweis auf den § 4 Krankenpflegegesetz findet bekanntlich in der Praxis so gut wie keine Entsprechung, und der Verweis auf die soziodemografische Entwicklung und die sich daraus ergebenden Veränderungen der Zuständigkeiten auch für die Pflegeberufe entspringt mehr berufspolitischem Wunschdenken, als dass die Realität dadurch angemessen beschrieben würde. Auch der Berufsanfänger sollte darüber informiert werden, dass die Pflege ein weisungsabhängiger Heilhilfsberuf ist und die Überwindung dieses Zustandes politischen Kampf gegen massive wirtschaftliche Interessen bedeutet und nicht per Akklamation z. B. seitens eines Berufsverbandes zu bewerkstelligen ist.
Im zweiten Abschnitt "Pflege und Profession" wird über Pflegetheorien und Pflegeforschung informiert sowie in den Pflegeprozess und die Arbeit mit Pflegediagnosen eingeführt; ferner werden Arbeitsorganisation und Pflegesysteme vorgestellt.
Der dritte Abschnitt "Pflege und Beziehung" ist untergliedert in
- Ethik und Pflege und
- Kommunikation und Pflege.
Die Konzeption dieses ersten Bandes ist positiv zu bewerten. Am Ende der Abschnitte findet sich jeweils ein Literaturverzeichnis, das allerdings leider nicht immer ganz aktuell ist. Die Inhalte sollten an einigen Stellen noch einmal überarbeitet werden.
Der Band Wahrnehmen und Beobachten"ist in zwei Abschnitte gegliedert:
- Im ersten Abschnitt werden die Grundlagen der Wahrnehmung und Beobachtung dargelegt, und es werden die Bedingungen der Datenerhebung im pflegerischen Alltag sowie die Notwendigkeit und die Modalitäten der Informationsweitergabe erläutert.
- Im zweiten Abschnitt geht es dann um die Beobachtung des gesunden und kranken Menschen. Die Autoren orientieren sich dabei nicht z. B. an de ATLs oder anderen Pflegemodellen, ebenfalls nicht an irgendwelchen Krankheitssystematiken, sondern sehr praxisorientiert an Sachverhalten, die in der Realität beobachtet werden müssen (z. B. Haut und Schleimhäute, Schlaf, Bewusstsein). Zu erwägen wäre hier lediglich, ob man hinsichtlich der Reihenfolge nicht eine an einem Modell orientierte Ordnung einführt, die auch eine gewisse Gewichtung zum Ausdruck bringt - die Beobachtung der Hautanhangsgebilde ist mit Sicherheit nicht ganz so bedeutsam wie die Beobachtung der Atmung und des Bewusstseins.
Der Band "Pflegerische Interventionen" ist in vier Abschnitte gegliedert:
- Basiselemente pflegerischer Interventionen
- Pflegerische Interventionen im zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen
- Pflegerische Inventionen im Zusammenhang mit diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
- Pflegerische Interventionen im Zusammenhang mit Schmerzen und Notfällen.
Die menschlichen Bedürfnisse werden wie bereits im zweiten Band sehr realitätsnah eingeteilt in Atmung, Schlaf, Nahrungsaufnahme, Bewegung, Ausscheidung, Körperpflege und Kommunikation.
Zu den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen werden die physikalische Therapie, die Arzneimittelverabreichung, der Umgang mit Sonden und Drainagen, die Wundversorgung sowie Punktionen gezählt.
Wie in den ersten beiden Bänden ist auch in diesem die weiterführende Literatur wieder jeweils am Ende der einzelnen Kapitel angeordnet - leider nicht immer auf dem akuellen Stand; z.B. findet der Leser nur recht wenig von der inzwischen doch recht umfangreichen Literatur zum Problem "chronische Wunden". Das Sachverzeichnis unterstützt die Orienterung.
Der Band "Prävention und Rehabilitation" ist in zwei große Abschnitte gegliedert:
-
Präventive und rehabilitative Konzepte pflegerischen Handelns - In diesem Abschnitt wird zunächst dargelegt, was unter Prävention und Rehabilitation zu verstehen ist. Zwar wird hier durchaus korrekt die Primärprävention als ein Konzept beschrieben, das auf die Gesunderhaltung des Gesunden abzielt. Die weiteren Ausführung zielen aber wieder sehr schnell auf das etablierte Medizinsystem - so wird als primärpräventiver Ansatz bei Säuglingen und Kleinkindern u. a. die ärztliche Kontrolle genannt, und die angemessene Ernährung ist erst beim alten Menschen eine Primärprävention - angesichts der Bedeutung von Süßigkeiten und Macdoof für Kinder und Jugendliche unverständlich. Hier wird begrifflich nicht sauber unterschieden. Es ist zudem die Frage, ob es nicht wichtig wäre, dass die in den Pflegeberuf Hineinwachsenden lernen würden, dass die Primärprävention nicht Gegenstand des etablierten medizinischen Versorgungssystems sein kann, da dieses kein Interesse daran hat, dass seine Produkte nicht gebraucht werden. Die Problematisierung der gewollten Medikalisierung des menschlichen Lebens sollte Thema der Pflegeausbildung sein.
In diesem ersten Kapitel finden sich im Weiteren - sicher angemessen - Ausführungen über das rückenschonende Arbeiten und das Umgehen mit psychischen Belastungen. Es werden ferner Konzepte der Sekundär- und Tertiärprävention beschrieben, wobei die Vorsorgemedizin sehr kurz behandelt und in keiner Weise problematisiert wird. Ebenso finden sich hier grundlegende Ausführungen über die Rehabilitation. Anzumerken ist hier, dass die von den Autoren vorgenommene Unterscheidung zwischen Tertiärprävention und Rehabilitation nicht eindeutig ist - vielfach wird die Rehabilitation zur Tertiärprävention hinzugezählt.
Ein zweites Kapitel in diesem ersten Teil ist der Beratung gewidmet.
Schließlich werden einige letztlich auch therapeutische Konzepte der Pflege vorgestellt: Kinästhetik, Basale Stimulation, Bobath, Realitätsorientierungstraining, Validation und komplementäre Konzepte wie Aromatherapie und Reflexzonentherapie. - Primärprävention in der Pflege - In diesem zweiten umfangreichen Abschnitt werden nach Ausführungen zur Krankenhaushygiene ausführlich die verschiedenen Prophylaxen beschrieben. Ob es sinnvoll ist, diese Maßnahmen als "Primärprävention in der Pflege" zu bezeichnen, scheint fraglich, da sie durchweg nicht am Gesunden ansetzen, sondern am bereits Erkrankten, bei dem weitere Schäden vermieden werden sollen. Typisch ist, dass bei der Verwirrtheitsprophylaxe als Risikogruppe ältere Menschen genannt werden, was zweifelsfrei der Realität der pflegerischen Arbeit entspricht. Eine Primärprävention gemäß der in dem ersten Kapitel dargelegten Definition müsste aber davon handeln, was bei jungen Menschen getan werden kann, damit die Hirnleistung erhalten bleibt.
Wie in den ersten beiden Bänden ist auch in diesem die weiterführende Literatur wieder jeweils am Ende der einzelnen Kapitel angeordnet. Das Sachverzeichnis unterstützt auch hier die Orienterung.