Totenruhe – Totentruhe
Särge aus vier Jahrhunderten
Ausstellungskatalog herausgegeben vom Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur, Kassel (Sörries, Reiner)

 

Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V., Kassel 2004, 72 S., kartoniert

Rezension von: Dr. hubert Kolling

Früher bildete der Umgang mit Sterben und Tod einen festen Bestandteil unseres Verhaltenskodex. Unzureichende ärztliche Versorgung, mangelnde Ernährung, harte Arbeit und häufige Epidemien führten zu einer kürzeren Lebenserwartung und gaben dem Tod eine ständige Präsenz. Da es noch keine staatliche Sozialfürsorge gab, starb man in der Regel zu Hause, wo man trotz häuslicher Enge und gravierenden hygienischen Mängel über mehrere Tage aufgebahrt lag, um Freunde und Verwandte Abschied nehmen zu lassen. Obwohl unserem Leben auch weiterhin schmerzhafte Grenzen gesetzt sind, haben wir den Tod weitgehend aus der Öffentlichkeit verdrängt. Wir sterben heute meist in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, wo fremdes Dienstleistungspersonal sich um die Toten kümmert. Ein weitere Zeugnis für die Verdrängung des Todes, übrigens nach Norbert Elias eine Folge des fortschreitenden Prozesses der Zivilisation, ist das sichtbare Bemühen um eine unauffällige Beseitigung der Toten. Wer macht sich beispielsweise schon zu Lebzeiten genauso selbstverständlich wie um seinen Wohnzimmerschrank oder seine Kleidung Gedanken um seinen Sarg?

Dabei gehören Särge unzweifelhaft zu den herausragenden Gegenständen der Bestattungskultur und zugleich zu den aussagekräftigsten im Hinblick auf das, was Menschen angesichts des Todes tun, denken, glauben und hoffen. Und Särge sind eine kulturgeschichtliche Konstante, selbst wenn man berücksichtigt, dass in verschiedenen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeiten auch ohne Sarg bestattet wurde. Ohne die vielfach restaurierten Särge wüssten wir bedeutend weniger über Glauben und Aberglauben, über Trauer und Hoffnung vergangener Generationen, erzählen sie doch von Armut und Reichtum, von Angst vor den Wiedergängern, aber auch von der Zuversicht über den Tod hinaus, von Trauer und letzten Wünschen. Särge sind wie ein Bilderbuch. Sie sind praktisch, symbolisch, künstlerisch, und heute versuchen auch Designer, dem Erdmöbel eine angemessene Form und Gestalt zu geben. Im Kasseler Museum für Sepulkralkultur, das sich im Sinne seiner Gründungsväter in der Tradition der volkskundlichen und kunsthandwerklichen Sammlungen stehen sieht, nehmen Särge einen breiten Raum ein. Dabei stammen die meisten Särge des Museums aus den Jahrhunderten zwischen der frühen Neuzeit und der Gegenwart, wobei keineswegs nur herausragend, wertvolle Objekte, sondern auch solche der Alltagskultur gesammelt werden. Das Spektrum reicht von fürstlich-barocken Prunksärgen bis zu gewöhnlichen Särgen unserer Zeit. Aufgrund seines Sammlungsbestandes und der Bedeutung des Sarges für die Bestattungskultur zeigte das nicht ganz alltägliche Museum in Kassel bereits kurz seiner Eröffnung 1992 eine Ausstellung zur Kulturgeschichte des Sarges von der Antike bis zur Gegenwart. Sie trug 1993 den Titel „Vom Totenbaum zum Designersarg“. Der gleichnamige Katalog, leider auch in der zweiten Auflage schon seit langem vergriffen, gilt heute als Standardwerk dieser Gattung.

In Anbetracht der Bedeutung des Gegenstandes schien es dem Kasseler Museum für Sepulkralkultur angemessen, dem Thema neuerliche Aufmerksamkeit zu schenken. Hierbei sollte es nicht um ein Remake der 1993er Ausstellung gehen, sondern um Akzentsetzungen, die sich aus einem erweiterten Sammlungsbestand, einem vertieften Erkenntnisstand und den damit einhergehenden differenzierten Fragestellungen ergeben. Die als erster Teil der Ausstellungstrilogie „Sarg mal 3“ vom 7. November 2004 bis zum 16. Januar 2005 unter dem Titel „Totenruhe – Totentruhe“ gezeigte Ausstellung versuchte zwar noch ähnlich der ehemaligen Präsentation einen kulturgeschichtlichen Querschnitt zu bieten, dieser beschränkte sich jedoch auf die letzten vier Jahrhunderte und zeigte zudem die Neuerwerbungen des letzten Jahrzehnts. Hierbei wurde auch ein Blick auf fremde Kulturen und den zeitgenössischen Umgang mit dem Sargdesign geworfen. Während der Kernbestand der Ausstellung, in der Särge vom 17. bis zum 20. Jahrhundert zu sehen waren, Exponate aus den Sammlungen des Museums für Sepulkralkultur bilden, wurde sie im Hinblick auf die Moderne durch besondere Leihgaben ergänzt.

Das älteste Exponat der Ausstellung, eine Seite aus einem spätmittelalterlichen Stundenbuch um 1480, bildet indes den Ausgangspunkt, zeigt die Darstellung doch die über Jahrhunderte geübte Bestattung ohne Sarg, die in einigen Bundesländern zumindest als Option heute wieder möglich ist. Zu den eindruckvollsten Särgen der Ausstellung zählten unterdessen nicht nur die farbig gefassten Särge aus der Familiengruft derer von Stockhausen in Trendelburg und ein Sarg aus der Familie von Münchhausen in Moringen mit freiplastischen Dekor, sondern auch Schlichtsärge, unter ihnen ein seltenes Exemplar eines Korbsarges aus Thüringen. Zwischen Konvention und Kunst muss ein Sarg vom Beginn des 20. Jahrhunderts genannt werden – mit feinstem Jugendstildekor: zeitgemäß und auf der künstlerischen Höhe seiner Zeit.

Die beeindruckende Präsentation wurde bereichert durch zahlreiche grafische Blätter, Gemälde, Modelle und diversem Sargzubehör. In ihrer Vielschichtigkeit bot die Ausstellung, zu der Reiner Sörries, der Direktor des Museums, den vorliegenden Ausstellungskatalog vorgelegt hat, ein Spiegelbild der Einstellung des Menschen zu Sterben und Tod im Wandel der Jahrhunderte. Nicht zuletzt zeigten die Ausstellungsobjekte auch die großen Unterschiede einer sozialen Differenzierung zwischen notwendiger Zweckmäßigkeit und ausgeprägtem Repräsentationsbedürfnis.

Der durchgängig farbig illustrierte Ausstellungskatalog, der die gezeigten Objekte gründlich dokumentiert und ausführlich beschreibt, verdient nicht nur das wissenschaftliche Interesse von Seiten der Volkskunde; der Band bietet vielmehr wertvolle Anregungen für alle, die sich mit (dem eigenen) Sterben und Tod auseinandersetzen möchten.