Patientenverfügung Schnell, Martin W. (Hrsg.) )Verlag Hans Huber, Bern, 2009, 329 S., 15 Abb., 12 Tab., 34,95 €, ISBN 978-3-456-84722-1 Rezension von:Sylke Werner |
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Martin W. Schnell arbeitet als Professor für Ethik im Gesundheitswesen an der Universität Witten Herdecke und beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen, die im Schnittfeld von Philosophie und Pflege liegen. Das Buch fügt sich in die langjährige Debatte um mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit der Patientenverfügung (PV) ein, die einen Monat nach dessen Erscheinen in einer gesetzlichen Regelung des Bundestages zur Wirksamkeit und Reichweite von PV mündete. Künftig werden die Voraussetzungen von PV und ihre Bindungswirkung eindeutig im Gesetz bestimmt. Mit der PV soll dem Arzt der Wille eines Patienten vermittelt werden, der sich zur Frage seiner medizinischen Behandlung nicht mehr selbst äußern kann. Umso mehr Bedeutung kommt der zentralen Frage des Buches nach der Rolle der PV für die Begleitung am Lebensende zu.
Im ersten Kapitel erläutert Martin Schnell mittels philosophischen Exkurses den Hintergrund seiner Hauptthese, in dem er zwei Perspektiven (Heidegger und Levinas) im Hinblick auf das Lebensende unterscheidet. Er skizziert die Relevanz von Autonomie und PV im Gesundheitswesen und zeigt, wie sich diese zur heilberuflichen Ethik am Lebensende verhält.
Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über den unterschiedlichen Stellenwert von PV in der Schweiz, Österreich und Deutschland in der Öffentlichkeit und Ärztekammern sowie Berufsverbänden der Pflege. Im Folgenden macht Heinz Kammerer die rechtliche Bedeutung der PV deutlich, welche Wirkung sie in der Beziehung Arzt/Patient besitzt und wie daraus entstehende Fragen geklärt werden können.
Im nächsten Kapitel verweist Martin Schnell auf die Unsicherheit bei der Beachtung des Willens des Patienten und wirft die Frage auf, wer Verantwortung für die Umsetzung des Willens übernehmen soll.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit der PV in der Fachliteratur und legt dar, dass die Frage der Begleitung am Lebensende im Zusammenhang mit Autonomie und PV zu wenig Beachtung findet und eigene Forschungen nötig sind.
Das folgende Kapitel „Begleitung am Lebensende-Befragungen auf Intensivstationen“ verdeutlicht anhand von Aussagen der Pflegenden die konflikthafte Situation der Begleitung am Lebensende auf Intensivstationen.
Desweiteren geben Einzelportraits Aufschluss darüber, wie Ärzte und Pflegende die PV als wichtiges Instrument zur Artikulation des Patientenwillens im Rahmen einer professionellen Begleitung am Lebensende ansehen. Das Ergebnis der qualitativ ausgerichteten Begleiterbefragung wurde im folgenden Kapitel in einer quantitativ ausgerichteten Vignettenstudie auf eine allgemeine Basis gestellt. Die Autoren stellen die These auf, dass Ärzte und Pflegende in der Praxis die Vereinbarkeit von fürsorglicher Begleitung und der Beachtung der Autonomie in PV nicht automatisch und reibungslos herstellen können. Konsequenzen sind weiterer Forschungs- und Handlungsbedarf. Die Begleitung am Lebensende beruht auf Entscheidungen, die professionelle Kommunikation voraussetzen. Welche Bedeutung die Ausbildung in der Kommunikation als Grundlage der Begleitung am Lebensende besitzt, wird in Form eines Curriculums und einer Lehrevaluationsstudie, erläutert. Die Autoren stellen fest, dass bisher keine Evidenz darüber vorliegt, inwieweit sich Kommunikationsausbildung für Medizinstudenten zum Thema Lebensende tatsächlich auf die Kompetenz im späteren ärztlichen Alltag auswirkt, die Beantwortung der Frage jedoch grundlegend für die Erforschung der Nachhaltigkeit von Kommunikation am Lebensende ist.
Kapitel 10 stellt das Instrument „Witten Will Pathway“ als Leitfaden für Arzt und Team zur Ermittlung und Evaluation des Willens des Patienten vor, wobei Fallbeispiele die Anwendung in der Praxis verdeutlichen.
Die letzten drei Kapitel beschäftigen sich mit der pflegerischen Palliative Care Perspektive, wobei drei zentrale Perspektiven und Fragen im Mittelpunkt stehen: der Wille des Menschen mit Behinderung, die Identität des Menschen mit Demenz und Vertrauen des pflegebedürftigen Menschen. Die Problematik des Menschen mit Behinderung am Lebensende verlangt, dass der Betroffene in der PV seine Zukunft vorentwirft und über eine noch ungelebte Zukunft spricht. Christian Müller-Hergl betrachtet die spezielle Problematik von Demenz und PV aus psychologischer, moralischer, rechtlicher und ethischer Perspektive.
Angelika Abt-Zegelin beschreibt in Kapitel 13 sehr realistisch die Pflegebedürftigkeit als einen vielschichtigen, langwierigen Prozess. Begleitung für Pflegebedürftige am Lebensende bedeutet, dass die Begleiter sie in all ihren individuellen Angelegenheiten, die nicht identisch mit einer gesetzlichen Bestimmung von Pflegebedürftigkeit sind, ihnen jedoch als pflegebedürftige Person zur Realisierung von Autonomie und Lebensqualität wichtig wären, unterstützen. Die Autorin wirft die Problematik auf, ob diese Asymmetrie des Vertrauens durch die Form der PV überhaupt realisiert werden kann, wo es doch am Lebensende um eine gelingende Begleitung im Zeichen von Autonomie geht.
Kapitel 14 gibt noch einmal eine Analyse der Literatur zum Thema „Adressaten von PV“. Informationsmaterialien zum Thema Sterbebegleitung und PV runden das Buch ab.
Dieses Kurzlehrbuch für Medizin, Pflegewissenschaft und Palliative Care analysiert und klärt, welche Rolle die Patientenverfügung für die Begleitung am Lebensende spielt. Aufgrund der Individualität und Komplexität des Themas kann das vorliegende Buch nicht alle Fragen beantworten. Es regt den Leser aufgrund der verschieden Sichtweisen an, über PV und Begleitung am Lebensende, auch auf wissenschaftlicher Grundlage, nachzudenken.
Die gewählten Fallbeispiele und Befragungen im Rahmen von Studien verdeutlichen den Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis und tragen wesentlich zur Verständlichkeit des Buches bei. Angesichts der aktuellen gesetzlichen Regelungen zur PV lohnt es sich, dieses Buch zu lesen und sich kritisch mit dem Thema PV und Autonomie am Lebensende auseinanderzusetzen.