Impact-Factor der Pflegewissenschaft
Dieses Dokument enthält Informationen zum Impact Factor der Pflegewissenschaft: Es gilt als „chic“ in der Pflegewissenschaft, sich Methoden und Verfahren der klassischen Naturwissenschaften nicht nur anzunähern, sondern diese auch kritiklos zu übernehmen. Ein Beispiel dafür erlebte ich kürzlich in einem Telefonat: Ein Doktorand rief mich mit folgender Frage an: „Wie hoch ist denn der Impact-Factor der Pflegewissenschaft? Wir dürfen nur noch in Journals publizieren, deren Impact Factor höher als 1 ist!“. Seit einigen Jahren nehmen wir mit unseren Zeitschriften am Verfahren nicht mehr teil – und ich möchte gerne erläutern, warum. Der Impact Factor (IF) oder genauer der Journal Impact Factor (JIF), deutsch Impact-Faktor, ist eine errechnete Zahl, deren Höhe den Einfluss einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift wiedergibt. Er dient zum bibliometrischen Vergleich verschiedener Zeitschriften und gibt an, wie häufig im Durchschnitt ein in dieser Zeitschrift veröffentlichter Artikel von anderen wissenschaftlichen Artikeln pro Jahr zitiert wird. Die Formel zur Berechnung lautet: Zahl der Zitate im Bezugsjahr auf die Artikel der vergangenen zwei Jahre geteilt durch die Zahl der Artikel in den vergangenen zwei Jahre.
Ein Beispiel: Eine Zeitschrift hat in den vergangenen zwei Jahren (also 2014 und 2015) 100 Artikel publiziert. Diese wurden 200 mal zitiert. Daraus berechnet sich dann der Impact-Factor von IF=2.0.
Berechnet und vergeben wird der IF von Thomson Reuters, einem US-Unternehmen, das die Daten aus dem „Web of science“ berechnet.
Hier setzt unsere Kritik ein:
- Kommerzialität des IF: Die Mitgliedschaft im Web of Science setzt erhebliche Lizenzzahlungen voraus und benachteiligt kleine Verlage. Die Lizensierung von Zeitschriften ist untrennbar an die weltweite Freigabe aller Inhalte im ISI Web of Science gebunden – was herkömmliche Abonnement-Modelle (von denen Verlage leben) in Frage stellt.
- Internationaler BIAS: Die Berechnung bevorzugt einseitig internationale (englischsprachige) Journals, da diese häufiger zitiert werden, als deutschsprachige. Die deutschsprachige Pflegewissenschaft wird aber vor allem im deutschsprachigen Raum wahrgenommen.
- Halbwertszeit: Die Berechnung geht von einer Wissenshalbwertszeit von 2 Jahren (oder weniger) aus. Für viele Disziplinen (z.B. Molekularbiologie) entspricht dies der Rasanz der Entwicklung. Sozialwissenschaftliche Themengebiete haben aber eine Halbwertszeit von fünf Jahren oder mehr.
- Aushandelbarkeit: ISI Thomson Reuters bietet verschiedene (unterschiedlich teure) Modelle an, was ein Zitat im o.a. Sinne eigentlich ist: Zitat innerhalb eines Fachartikels, Editorials, Nachrichten oder sonstige Ankündigungen. Im Ergebnis erhalten „finanzkräftigere“ Kunden von Thomson Reuters bessere Impact-Faktoren.
- Verlagsseitige Beeinflussung („Zitationskartelle“): Verlage gehen zunehmend dazu über, den IF über redaktionelle Maßnahmen zu beeinflussen, z.B. über die bevorzugte Veröffentlichung von Artikeln, die mindestens einen Verweis auf eines der eigenen Journals in der Literaturliste haben. Diese „Self-citation“ zur Verbesserung des eigenen Impact-Factors ist insbesondere bei Journals mit IF zwischen 0 und 4 stark verbreitet (McVeigh 2016, Online im Internet: http://wokinfo.com/essays/journal-self-citation- jcr/), bei den TOP-Journals dagegen kaum. Ein Beispiel: Der Artikel „Cutting-edge topics in experimental and clinical sciences“ (http://link.springer.com/ article/10.1007%2Fs00204-012-0951-y) enthält ausschließlich Zitate aus dem eigenen Journal (n=67). Bei etwa 166 Artikeln/Jahr verbessert dieser eine Artikel den Journal Impact Factor auf 6.637, was kein schlechter Wert ist. Ohne diesen (mutmaßlich redaktionell platzierten Beitrag („What do we know about journal citation cartels? A call for information“, Mongeon, 2014, Leiden-University) läge der IF bei 5.84, also einen ganzen Zähler niedriger.
Bezug auf komplette Journal-Jahrgänge: Der IF gibt – entgegen landläufiger Meinung – nicht an, wie erfolgreich ein einzelner Fachartikel im Wettbewerb der Publikationen ist, sondern wie erfolgreich alle Fachartikel (egal ob peer reviewed oder nicht) eines Journals der vergangenen, abgeschlossenen zwei Jahre ist. Es genügt also, einen „heißen Hund“ im Journal zu platzieren, der –ausreichend of zitiert – alle anderen mitreißt. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein Arztikel in einem High-Impact-Journal möglicherweise kein einziges Mal zitiert wird, der Autor aber fälschlicherweise von einem hohen Science Impact ausgeht. Jenseits dieser konkreten Kritikpunkte stellt sich die Frage nach der Aussagekraft des Impact-Factors.
"Do not use journal-based metrics, such as Journal Impact Factors, as a surrogate measure of the quality of individual research articles, to assess an individual scientist’s contributions, or in hiring, promotion, or funding decisions.", forderten 13.000 Wissenschaftler/innen in der San Francisco Declaration on Research Assessment" (DORA). Dieser Forderung haben sich u.a. die DFG, die Liga Europäischer Forschungsuniversitäten sowie weitere forschungsstarke Einrichtungen ausgesprochen. „Wir müssen diesen Blödsinn hinter uns lassen“, forderte der Nobelpreisträger Randy Schekman im Frühjahr an der Universität Regensburg.
Aus diesem Grund erhalten Sie bei uns auf die Frage nach dem Impact-Factor die Auskunft: Kein Impact Factor. Aber dass Artikel bei uns gelesen (und zitiert) werden steht außer Frage. „Beliebte“ Beiträge bringen es auf 4000 oder mehr Downloads, eine in der Pflegewissenschaft beachtliche Leserschaft. Wie oft Beiträge heruntergeladen werden (was wir als treffliche Zahl für den Erfolg eines Artikels verstehen) können Sie auf www.pflege-wissenschaft.info einsehen. Dort finden Sie (für die „quantitativ“ Orientierten) auch die Berechnung der Impact-Punkte für den jeweiligen Artikel.