Nachhaltigkeit in der Gesundheitsvorsorge. Wie Krankenkassen Marketing und Prävention erfolgreich verbinden. (Viviane Scherenberg)
Gabler Verlag 2011, 373 Seiten, Softcover, ISBN: 978-3-8349-2869-6
Rezension von: Julia Ungerer
In ihrer Dissertation greift Viviane Scherenberg die Problematik der Divergenzen zwischen betriebswirtschaftlichen Maximen und dem Solidarauftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) exemplarisch anhand der Bonusprogramme der GKVn auf.
Aufgrund der spezifischen Strukturen des Krankenkassenmarktes, die Wachstum nur durch Neukundengewinnung ermöglichen, sehen sich die Kassen aus ökonomischer Sicht gezwungen diejenigen Kunden zu binden, die durch hohe Beitragszahlungen bei geringen Ausgaben finanziell lukrativ sind. Diesen guten Risiken stehen im Gegensatz zu so genannten schlechten Risiken. So werden die Versicherten beschrieben, bei denen geringe Beitragszahlungen und hohe Ausgaben gegenüber stehen.
Bonusprogramme prämieren in der Regel gesundheitsbewusstes Verhalten, sind also Präventionsinstrumente. Nach Ansicht der Autorin sind diese Programme häufig so ausgestaltet, dass gute Risiken akquiriert und an die Kasse gebunden werden. Es entstehen hier Mitnahmeeffekte, die bewirken dass gerade die Versicherten durch Bonusprogramme belohnt werden, die auf diesen finanziellen Zuschuss nicht angewiesen sind oder die sich auch ohne Existenz eines Bonusprogramms gesundheitsbewusst verhalten.
Versicherte niedriger Einkommensschichten werden hierdurch benachteiligt. Dabei zeigt gerade diese Versichertengruppe das größte Potenzial der Kosteneinsparung, denn sie leidet in der Regel weitaus häufiger an Krankheiten, denen durch Prävention vorgebeugt werden kann.
Scherenbergs Arbeit erhebt den Anspruch die gesetzliche Kassenlandschaft möglichst vollständig darzustellen, um so "[...]Probleme und Hemmnisse eines effizienten und effektiven Einsatzes von Präventionsinstrumenten [...] im Sinne der Herstellung [gesundheitlicher] Chancengleichheit [...]" abzubilden.
Zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage, wie die Harmonisierung der Zieldivergenzen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft aussehen kann leitet sie drei Unterfragen nach Theorie, Praxis und Umsetzung ab.
Der Aufbau der Arbeit gliedert sich in drei grobe Themenkomplexe und insgesamt neun Kapiteln. Der erste Teil umreist den konzeptionellen Rahmen. Nach der Einführung beschreibt die Autorin im zweiten Kapitel aktuelle Entwicklungen auf soziologisch-epidemiologischer, gesundheits- und marktpolitischer sowie gesellschaftlich-sozialer Ebene und dieentsprechenden Gegenentwicklungen unter Berücksichtigung sich verändernder gesetzlicher Rahmenbedingungen, die als Auslöser der beschriebenen Zieldivergenzen angesehen werden können.
Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über Studien zu verschiedenen Bonusprogrammen. Hier wurden nicht nur Studien zu Programmen der Krankenkassen sondern auch kommerzielle Bonusprogramme mit einbezogen. Die Komplexität dieser Programme zwingt dabei zur Betrachtung unterschiedlicher Ebenen. So werden sowohl für kommerzielle als auch für präventive Programme nachfrageorientierte, anbieterorientierte und wettbewerbsorientierte Perspektiven beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass die Erfahrungen mit kommerziellen Programmen u.a. zu teilnehmerförderlichen und -hinderlichen Maßnahmen viel weitreichender sind im Vergleich zu denen im Gesundheitswesen. Es wird, so die Autorin, jedoch klar dass sich anhand der Ausgestaltung der Bonusprogramme auf die strategische Ausrichtung der Kasse schließen lässt.
Um die theoretischen Hintergründe von Prävention und Marketing und entsprechende Vorannahmen geht es im Kapitel vier. Die Autorin bildet die Gegensätze, aber auch die Gemeinsamkeiten von Prävention und Marketing ab.
Im zweiten Teil liegt der Fokus auf der empirischen Arbeit. Das fünfte Kapitel beschreibt ausführlich verschiedene Dimensionen von Nachhaltigkeit und schafft so den theoretischen Hintergrund für das sechste Kapitel. Dieses bildet das Kernstück der Arbeit, die empirische Bestandsaufnahme. Die Autorin präsentiert die Ergebnisse ihrer Untersuchung für die sie fast alle gesetzlichen Krankenkassen auf die Nachhaltigkeit ihrer Bonusprogramme hin untersucht hat. Ziel soll sein, den Status quo der deutschen GKVn abzubilden. Das Kapitel beschreibt umfassend die Vorgehensweise der Erhebung und Auswertung und fasst die zentralen Erkenntnisse zusammen.
Im letzten Teil werden die richtungsweisenden Fragen der Einleitung unter Berücksichtigung der erworbenen Erkenntnisse diskutiert. Das Siebte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie nachhaltige Entwicklungen gesteuert und gemessen werden können. Die Autorin beschreibt zunächst allgemeine Grundlagen zur Messung dieser Entwicklungen, bevor sie auf einzelne Nachhaltigkeitskriterien näher eingeht. Auch die Grenzen solcher Messungen werden aufgezeigt. Abschließend werden Nachhaltigkeitsmarketing und nachhaltiges Marketing im Kontext des gesetzlichen Krankenkassenmarktes näher erläutert.
Gegründed auf die Ergebnisse ihrer Erhebung spricht Scherenberg im achten Kapitel Empfehlungen für Praxis und Forschung aus, wie Zieldivergenzen überwunden werden können. Sie beschreibt den Zusammenhang einzelner Faktoren, die für die Förderung nachhaltiger Entwicklungen zielführend sind.
Das neunte Kapitel bietet eine abschließende zusammenfassende Bewertung. Hier wird auf die Entwicklung des Wettbewerbsdrucks unter Berücksichtigung der prognostizierten demographischen Entwicklungen verwiesen. Die ausführliche Beantwortung der drei Unterfragen, welche sich eingangs aus der Hauptfragestellung ableiteten, beschließt das Werk.
Angesichts der steigenden Gesundheitskosten durch präventable Erkrankungen und gleichzeitig steigendem Wettbewerbsdruck unter den Krankenkassen innerhalb eines komplett gesättigten Markts behandelt die Arbeit ein hochaktuelles Thema. Die Autorin erfüllt ihren eigenen Anspruch, ein umfassendes Bild der aktuellen Situation der gesetzlichen Krankenkassen wiederzugeben. Der gewählte Aufbau der Arbeit und die zahlreichen Abbildungen veranschaulichen die Thematik, so dass auch der Laie gut folgen kann. Neben 12 Anhängen zu behandelten Themen runden Stichwort-, Bild- und Tabellenverzeichnisse sowie ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis die Arbeit ab. Sie empfiehlt sich als Pflichtlektüre für jede Führungskraft in Krankenkasse und Gesundheitswirtschaft.